Am 9. Februar 2015 traf sich die Facharbeitsgruppe PT in Gießen. 11 Teilnehmer waren erschienen und erlebten einen Tag mit anregenden Referaten und regen Diskussionen.
Zwei Referate waren Zukunftsherausforderungen der Kirche gewidmet. Dr. Philipp Bartholomä, Postdoc-Researcher an der FU Amsterdam und Pastor einer freikirchlichen Gemeinde, stellte Theorien sozialer Identität vor und ihre Bedeutung für die Beziehung zwischen Freikirchen und Landeskirche. In der Vergangenheit hatten Freikirchen ihre Identität meist im Kontrast zu den Volkskirchen bestimmt. Diese Identitätsbestimmung verliert aber zusehends an Bedeutung. In den Vordergrund tritt die gemeinsame Aufgabe missionarischer Christen in Landes- und Freikirchen im Gegenüber zur entkirchlichten Bevölkerungsmehrheit (mit oder ohne formale Kirchenmitgliedschaft). Fokussiert und diskutiert wurde die Herausforderung Aller, im missionarischen Gemeindeaufbau tatsächlich die Entkirchlichten zu erreichen und eigene Mitglieder nicht nur durch Transfer von anderen Kirchen oder Gemeinden zu gewinnen. – Die andere Zukunftsherausforderung entfaltete Prof. Dr. Helge Stadelmann in seinem Referat über die Herausforderung, die die beginnende Alterung der Gesellschaft in materialer wie formaler Hinsicht für die Homiletik darstellt. Im Mittelpunkt der Betrachtung standen dabei die „Jungen Senioren“ des drittel Lebensalters (ca. 65-80 Jahre) und die „Hochbetagten“ des vierten Lebensalters (über 80 Jahre). Chancen und Lasten der jeweiligen Alter müssen Verkündiger heute deutlicher vor Augen haben. Im dritten Lebensalter stehen nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben dem Verlust von Bedeutung, von Sinn des Daseins und von sozialen Kontakten auf der anderen Seite die Möglichkeiten der neuen Freiheit im Ruhestand, der meist noch lange hohen Vitalität und der Einsatzbereitschaft (u.a. für die Bedarfe der Jungen, der im demographischen Wandel zusehends geforderten Berufstätigen und der Hochbetagten) gegenüber. Bei den Hochbetagten sind der Verlust der Gesundheit, der Selbstständigkeit, der wegsterbenden Altersgenossen und schließlich der Verlust des Lebens durch den Tod gravierende Themen. Doch auch hier sind die Chancen zu sehen, die eine fürsorgliche Vielgenerationengemeinde, die Hilfe zur Lebensbewältigung durch den Glauben (`religious coping´), die vermehrte ehrenamtliche Unterstützung durch Junge Senioren, die ganz neue Modelle aktivierender Seniorenarbeit entstehen lässt, sowie eine die Belange älterer Menschen stärker beachtende Verkündigung mit sich bringen.
Ein zweiter Schwerpunkt war kybernetischen Themen gewidmet. PD Dr. Holger Böckel, KiHo Wuppertal und ESG-Pfarrer in Gießen, stellte die Ergebnisse seiner Habilitationsarbeit über Leitungs- und Führungsmodelle im kirchlichen Kontext vor. Die oft unbewegliche Institution Kirche müsse stärker die integrierten Führungsstrategien beweglicher Organisationen übernehmen, die sie in die Lage versetzten, stärker zieleorientiert zu intervenieren und auf kontextuelle Herausforderungen zu reagieren. Böckels 700-seitige Habilitationsschrift ist inzwischen als Kompendium für Führungsfragen unter dem Titel Führen und Leiten: Ein Handbuch im EBV Verlag, Berlin, erschienen und wird bereits in Coaching-Seminaren für Führungskräfte verwendet. – Hochschuldozent Dr. Roland Fischer von der Theologischen Hochschule Friedensau stellte in seinem Beitrag Weiterbildungskonzepte für Pastoren für und verglich dabei die Angebote, die sich im Bund evangelisch freikirchlicher Gemeinden, im Bund Freier evangelischer Gemeinden, im Bund freikirchlicher Pfingstgemeinden und in der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten finden. Die Anforderungen des geistlichen Dienstes heute und die Zielsetzung, Pastoren vor Verausgabung und dem Scheitern zu bewahren, führen dazu, dass auch Freikirchen allmählich Programme zu Weiterbildungsangeboten im kirchlichen Anfangsdienst, für lebenslanges Lernen, für spezielle Zusatzausbildungen und für die Vorbereitung auf die letzten Dienstjahre und das Ausscheiden aus dem hauptamtlichen Dienst entwickeln. In den Landeskirchen sind diese Angebote seit Langem in vielfältiger Weise vorhanden. Entscheidend ist, das Pastoren hinsichtlich ihrer theologischen und praktischen Kompetenzen, ihrer Führungs- und Konfliktlösungsfähigkeiten, aber auch ihres eigenen spirituellen und glaubwürdigen sozialen Lebens gefördert werden.
Das Format der FAGPT hat sich bewährt, jeweils an einem Montag vier bis fünf Impulsreferate mit ausführlicher Diskussion zu bieten. Zu wünschen wäre nach wie vor eine zahlreichere Teilnahme all derer, die in Praktischer Theologie tätig sind, damit PT kein Stiefkind evangelikaler Theologie bleibt. Dazu müsste solch einer Fortbildungstagung und dem Kontakt mit Fachkollegen und Nachwuchskräften in den Terminkalendern potentieller Teilnehmer wohl vermehrt Priorität eingeräumt werden. Die nächste Facharbeitsgruppe PT wird – wieder in Gießen – am 22. Februar 2016 stattfinden. Bitte notieren! Vorschläge für Impulsreferate sind willkommen.
Helge Stadelmann, FTH Gießen und ETF Leuven