Jahrestagung der Facharbeitsgruppe Historische Theologie des AfeT
am 13. Februar 2016 in Gießen

 

Zwar fand das diesjährige Treffen der Facharbeitsgruppe HT an einem winterlich-kalten Samstag im Februar statt. Doch Erweckung lag gewissermaßen in der Luft. Denn alle vier Referate des Tages führten die 16 Teilnehmer, darunter auch einige Studierende (der „Nachwuchs“), auf die Spuren von Erweckungsbewegungen, nicht nur des 19. Jh., sondern quer durch die Jahrhunderte.

Den Anfang machte Pfarrer Klaus Vogt (Hansestadt Demmin), der uns teilhaben ließ an seinen „Entdeckungen in der Geschichte der Waldenserbewegung“, einem Auszug aus seiner breiten Quellenforschung zu dem Gebrauch der Charismen in der Geschichte des Christentums. Am Beispiel der Geschichte der Waldenser zeigte Vogt, wie nicht nur die frühen Waldenser u.a. das Charisma der Krankenheilungen praktizierten, sondern dass auch in der weiteren Geschichte der Waldenser diese immer wieder das übernatürliche Wirken des Heiligen Geistes erlebten und in den Quellentexten auch das Wirken des Geistes betont wird.

Auf diesen historischen Längsschnitt folgte eine zeitlich eher punktuelle Darstellung des Anfangs einer Erweckung: Dr. Gottfried Sommer (Trossingen) referierte über „Das Jahr ohne Sommer und der Beginn der Berliner Erweckungsbewegung 1816/17“. Er stellte die Berliner Erweckung im Kontext der Napoleonischen Befreiungskriege (Schlacht bei Waterloo 1815), des „social networking“ in den Berliner Salons und Klubs (z.B. die 1811 gegründete „Christliche-deutsche Tischgesellschaft“ oder die „Maikäferei“, 1816 gegr.), aber auch der klimatischen Verhältnisse vor. Nicht nur der außerordentlich kalte und nasse Sommer 1816, sondern auch personelle Einflüsse aus der Allgäuer (katholischen) Erweckungsbewegung führten in Berlin ab 1816/17 zu einer Erweckungsbewegung, als deren Höhepunkt die Gründung der Berliner Missionsgesellschaft („Gesellschaft zur Förderung der Evangelischen Missionen unter den Heiden“, 1824) gesehen werden kann. – In der anschließenden Aussprache an den detailreichen Vortrag wurde rege diskutiert, wie die unterschiedlichen Faktoren von der politischen Situation über das jugendliche Alter der Protagonisten der Berliner Erweckungsbewegung bis hin zu Einflüssen von Romantik und nationaler Begeisterung gewertet werden müssen: als begleitende oder bedingende Faktoren für diese Erweckung?

Ebenfalls ins 19. Jahrhundert führte Pfarrer Jörg Breitschwerdt (Tübingen) die Zuhörer mit einem kleinen Einblick in seine Dissertation zu „Geschichte und Glaube. Von den Auseinandersetzungen um die „moderne Theologie“ im 19. Jahrhundert zum ‚evangelikalen Protest‘ im 20. Jahrhundert. Wurzeln und Hintergründe der innerkirchlichen evangelikalen Bewegung in Württemberg und Westfalen“. Er illustrierte anhand der Auseinandersetzungen im Vormärz und im Umfeld des Apostolikumsstreits (1892) die These, dass die evangelikale Bewegung, v.a. in Württemberg und Westfalen, aus der Mitte der Kirche entstanden ist und ihre Wurzeln innerkirchlich in den Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts liegen. Insofern wäre der Terminus „kirchlicher Konservativismus“ (so ein Begriff aus der Habilitationsschrift von Matthias Deuschle zu Ernst Wilhelm Hengstenberg. Ein Beitrag zur Erforschung des kirchlichen Konservatismus im Preußen des 19. Jahrhunderts, 2013) für diese innerkirchliche Bewegung zu diskutieren. Diese Diskussion begann unter den Tagungsteilnehmern unmittelbar im Anschluss an das Referat und setzte sich auch nach dem letzten Beitrag fort, dem Vortrag von Dr. Wolfgang Reinhardt (Kassel) zu „Evangelikalismus und Pietismus – synchrone und diachrone Perspektiven“. Reinhardt stellte u.a. die Definitionen von Evangelikalismus (evangelicalism) und Pietismus (pietism) in der internationalen Forschung vor und regte an, die national isolierte Betrachtung beider Bewegungen zu überwinden. Denn in einer typologischen Betrachtung von Pietismus und Evangelikalismus weisen beide Bewegungen überschneidende Merkmale auf, z.B. die persönliche Aneignung des Glaubens, der Akzent auf die Umkehr und die bewusste Beziehung zu Christus, die Betonung der Bibel und ihrer Autorität, die Gemeinschaftsbildung etc.), so dass sich, so Reinhardt, die Frage nach einer Erweiterung der „Geschichte des Pietismus“ (unter Einschluss von Formen des Evangelikalismus) oder nach einem Oberbegriff, wie z.B. „Erweckungen“ (unter Einschluss von Pietismus, Puritanismus, Methodismus) stelle. Hier wurde im Gespräch angeregt diskutiert, ob nicht gegenüber einer typologischen Betrachtung noch stärker die Verbünde/Institutionen als Träger untersucht und das Selbstverständnis der betreffenden Gruppen beachtet werden müsse.

Nach den von Jörg Breitschwerdt erwähnten Statuten der Evangelisch-kirchlichen Vereinigung („die Versammlungen beginnen und schließen mit Gebet und Gesang“), endete die Fachtagung zwar ohne Gesang, aber mit Gebet und dem Ausblick auf die nächste Jahrestagung am 3.-4. Februar 2017 an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg/Lahn.

 

Ulrike Treusch