Thomas Hafner
Unter diesem spielerisch-ernsten Titel fanden sich rund 25 Personen zu einem inspirierenden Studienhalbtag der schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für biblisch erneuerte Theologie (AfbeT) am 10.11.2001 auf dem Bienenberg bei Liestal (BL) zusammen.
Im exegetisch ausgerichteten Einstiegsreferat legte Pfr. Dr. Beat Weber einige seelsorgerliche Aspekte der Psalmen dar. Zunächst machte er mit Bonhoeffer auf den eigentümlichen Doppelcharakter der Psalmen als Wort zu Gott und als Wort von Gott aufmerksam. Die Psalmen sind Gebetsworte (Worte zu Gott), die er und wie er sie von uns hören will. Christologisch gewendet sind sie aber laut Bonhoeffer die Worte des menschgewordenen Gottessohns, die Jesus Christus an den ewigen Gott richtete. Auch ohne christologische Deutung lässt sich der Doppelcharakter von Menschenwort und Gotteswort festhalten. Darum kommt dem Psalter eine besondere Rolle innerhalb des Kanons zu. Denn schon Athanasius schrieb den Psalmen die Fähigkeit zu, Personen umzugestalten. Harry P. Nasuti sprach in diesem Zusammenhang von ihrer sakramentalen Kraft bzw. Funktion.
Die vielen Ich- und Wir- Aussagen laden zur Identifikation und zum Gebet ein. Ich finde in jeder Gefühls- und Lebenslage Worte, die ich an Gott richten kann. Die Psalmen geben besonders den Elenden und Geplagten eine Stimme. So bewahren sie sie vor dem Verstummen, das Traumatisierungen festschreiben würde. Sogar Anklagen gegen Gott und Rachegedanken gegen menschliche Feinde sind darin enthalten. Sie dürfen, ja sollen vor Gott laut werden. Das hat eine reinigende Wirkung. Andererseits muss man nicht in der entsprechenden emotionalen Lage sein, um einen Psalm lesen oder beten zu können, sondern kann sich von ihm weiterführen lassen (Aufsprengung der subjektiven Situation). Auch das kann heilsam sein.
Weber sieht die Wichtigkeit der Psalmen nicht nur darin, dass sie Menschen über ihre Nöte und ihre Freude reden lassen, sondern Worte darreichen, in denen Leiden und Freuden zu Gott gebracht werden können im Wissen, dass sich Gott mit diesen meinen Worten in einzigartiger Weise verbindet und solidarisiert, weil es zugleich Worte von Gott sind. Als solche lassen sie auch Gott zur Sprache kommen sei es als Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung oder zur Unterweisung in Gerechtigkeit (vgl. 2. Tim 3,16f.). Wer die Psalmen nachbetet, darf davon ausgehen, im Sinne Gottes zu beten und erhört zu werden.
In einem 2. Teil des Referats zeigte der Präsident der AfbeT anhand von Psalm 13 den Weg des Betenden von der Klage zum Lobpreis auf. Zunächst wird in dem Psalm Gott das Leid geklagt und er dafür und für alles verantwortlich gemacht (!). In bittendem Tonfall wird sodann von Ihm allein die Rettung erwartet. Bemerkenswert auch die heftige Verklagung der Feinde vor Gott, wodurch die zerstörerische Aggression von Menschen auf Gott umgelenkt wird. Ungeschönt (nicht so wie ich es im Pietismus kennengelernt habe) kann und soll Gott alles gesagt werden.
Pfr. Dr. Hans Hauzenberger (Basel, Bethesda-Spital) lud in seinem (noch) praxisnäheren Referat dazu ein, in den Psalmen heimisch zu werden. Dies sei nötig, wenn uns zur rechten Zeit die rechten (Psalm-)Worte einfallen und die Patienten uns einen Psalm abkaufen sollen. Jesus betete am Kreuz den 22. Psalm auswendig. Wo die Kräfte nicht mehr reichen, ist ein auswendig gelerntes Psalmwort Gold wert.
Nach seiner Erfahrung nehmen ganz kirchenferne Patienten Psalmworte oft gerne entgegen, während negative (Zwangs-) Erfahrungen mit Bibel oder Gebet manchmal eine Barriere bilden.
Seelsorgerlich von Bedeutung waren die Psalmen auch für ganze Gemeinden. Hauzenberger erinnerte an die calvinistische Reformation, in der es die in den Gottesdiensten exklusiv gesungenen Psalmen waren, die die angefochtenen Gemeinden trösteten.
Pfr. Dr. Edgar Kellenberger (Liestal) berichtete mit grosser Offenheit von seinen Erfahrungen und Reflexionen im Umgang mit den Psalmen. Entgegen früherer Praxis zensiert er auf Anregung seiner Frau bei Spital- und Krankenbesuchen die zitierten Psalmen nicht mehr: Es gibt keine unpassenden Verse, die wir auslassen müssten. Die Kranken beschwerten sich nämlich nur selten über gewisse Einzelaussagen, fühlten sich aber in der Regel von den Texten verstanden.
Da Kranke nicht stetig auf ihr Kranksein angesprochen werden möchten, sind auch thematisch anders gelagerte Psalmen einsetzbar.
Nach Kellenbergers Schlussbemerkungen zur Wahrung der Intimität im Krankenzimmer entspannte sich ein reges Gespräch zur Verwendung und Anwendbarkeit der Psalmen in Spital und Seelsorge.
Interessant Kellenbergers Rat zu Psalm 41, den er sich regelmässig gesagt sein lässt: Dieser sei dem Gesunden vorzulesen, der den Krankenbesuch macht. Selbstkritisch soll der/die Seelsorgende sich der Frage stellen: Mit welcher Hoffnung gehe ich zum Kranken? Was also trage ich zu ihm hin? Aber auch: Was trage ich von ihm (über ihn) weiter? Alternativ zum 41. Psalm sind gelegentlich auch die Reden der Freunde des todkranken Hiob zu bedenken.
Nach Kaffee und Apfelkuchen höchster Qualität reisten einigen Teilnehmer nach Hause, andere blieben noch zum Abendessen im Bergrestaurant.
aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen - ETM 8/1 (2002) Herausgeber: AfeT - Arbeitskreis für evangelikale Theologie |
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01.08.2002 |