Was ist das – ein Mensch?
Bericht von der AfeT-Studienkonferenz 2003

Torsten Uhlig

Der AfeT hat sich zum Hauptziel gesetzt, „eine biblisch erneuerte Theologie zu fördern“. Erreicht werden soll dies, indem u.a. „wissenschaftliche Forschung, persönliche Frömmigkeit und Leben in der Gemeinde“ verbunden und „Gemeinschaft und Zusammenarbeit von Theologen aus verschiedenen Kirchen und Denominationen“ praktiziert werden. Zusammengefasst ist dies in dem griffigen Slogan „gemeinsam glauben – miteinander forschen“.

Selbst zur Zeit in England lebend und forschend, machte ich mich Mitte September auf, eben dies zu erleben und daran Teil zu haben – zur AfeT-Studienkonferenz. Sie fand vom 14. bis 17. September 2003 in Bad Blankenburg/ Thüringen statt und stand unter dem Thema „Was ist das – ein Mensch? Zur theologischen Anthropologie“. In seiner Eröffnungsansprache machte der AfeT-Vorsitzende Dr. Rolf Hille anhand der verheerenden Rezeption der Entdeckungen des russischen Forschers Pavlov im sowjetischen Behaviorismus deutlich, welch große Auswirkungen jegliche „Sicht vom Menschen“ hat und wie dringend deren Klärung auch im heutigen Kontext ist. Im Rahmen der Konferenz sollten dazu fünf Hauptreferate sowie das Angebot von acht Seminaren (jeder Teilnehmer konnte davon drei auswählen) sowie die Treffen der AfeT-Facharbeitsgruppen beitragen.

Institutsleiter Dr. Jürgen Spieß, Dr. habil. Roland Gebauer

Stark und Schwach
Der Mensch im Alten Testament

In dem ersten Hauptreferat wandte sich Prof. Dr. Jürgen van Oorschot (Universität Jena) unter dem Thema „Menschen – geschaffen als Gottes Ebenbild“ zentralen Texten des Alten Testaments zu. Ausgehend von der Beobachtung, dass im Alten Testament die historische und soziale Verschiedenheit der Rede vom Menschen eben weder in Richtung einer einheitlichen Erfassung des Phänomens „Mensch“ noch in Richtung einer philosophischen Anthropologie überschritten wird, unternahm er dies im Hinblick auf drei Aspekte. Aus einem ersten Blickwinkel, der kanonischen Perspektive, fällt auf, dass gerade an strukturell bedeutsamen Stellen des jüdischen Kanons Aussagen über den Menschen begegnen. So präsentiert Gen 1–11 am Anfang der Tora den Menschen als Geschöpf Gottes und in seiner realen Existenz. Mit Dtn 34 und Jos 1 kommt der Mensch am Übergang von der Tora zu den Nebiim (Propheten) als Empfänger und Mittler der Weisungen Gottes in den Blick. In der Einleitung zu den Ketubim (Schriften) schließlich kann der Mensch ein „glücklicher“ genannt werden, sofern er in die Tora verwickelt und von Gott erkannt ist.

Dr. Hans-Georg Gerhard, Prof. Dr. Jürgen van Oorschot

In einem zweiten Punkt versuchte van Oorschot aus der literar- und traditionsgeschichtlichen Perspektive den einzelnen und verschiedenen Stimmen im Alten Testament nachzugehen und sie je in ihrer Eigenaussage wahrzunehmen. In dem Versuch, die so gewonnenen Aussagen aus der dritten Perspektive eines Systematisierungsversuches zu betrachten, betonte van Oorschot die Dialektik, in der das Alte Testament vom Menschen spricht. Er ist einerseits „vergänglicher und scheiternder Mensch“, d.h. biblische Anthropologie weiß um die Endlichkeit und Sündhaftigkeit des Menschen. Er ist andererseits „starker und lebendiger Mensch“. Texte wie Ps 8 und Gen 1 sehen in dem Menschen den Sachverwalter Gottes, dessen Ebenbildlichkeit nicht etwas am Menschen meint, sondern den Menschen als solchen und ganzen. In dieser Dialektik bleibt jedoch der Mensch bezogen auf die Herrschaft Gottes. Und so ist es unter dem Horizont der Herrschaft Gottes, unter dem vom Menschen zu sprechen ist in seiner Dialektik – als schwacher und als starker Mensch.

Vom Sphinx zu Herbert G.
Zur Alltagsanthropologie

Pfr. Hans-Jürgen Peters (Instituto Consiglio, Marburg) versuchte in dem zweiten Hauptreferat „Menschenbilder der Gegenwart – zur Alltagsanthropologie“ eine „Beschreibung von dem, was sich in der Gegenwart findet.“ In einer enormen Breite an zur Sprache gebrachten Stimmen aus der Philosophie-, Theologie- und Geistesgeschichte, der Literaturgeschichte, der Kulturgeschichte, der Psychologie und nicht zuletzt der gegenwärtigen Populärmusik, Werbebranche und der Welt des Internet entwarf er ein buntes Kaleidoskop, in dem sich einerseits die beständige Bedeutung der Frage nach dem Menschen ausdrückte, durch das andererseits aber ein Bild von weitgehend zerrissenen, desillusionierten Menschen in der Gegenwart zum Vorschein kam.

Pfr. Hans-Jürgen Peters, Rektor Dr. Helge Stadelmann, Claudia Peters

Sinn-Krise und Sinn-Findung

Im dritten Hauptreferat „Sinn des Lebens und ewige Bestimmung des Menschen“ konnte Dr. Rolf Hille (Albrecht-Bengel-Haus, Tübingen) in seinem ersten Teil an das vorige anschließen. Darin skizzierte er die moderne (Sinn-)Krise und referierte an drei Beispielen (Logotherapie von V.E. Frankl; P. Tillich; Existentialismus von J.-P. Sartre/A. Camus) Versuche ihrer Bewältigung. Im zweiten Teil entwickelte Hille eine biblisch-theologische Sicht zur Frage der Sinnfindung und Kondingenzbewältigung. Demnach ist sowohl der schöpfungstheologische Aspekt (die Welt ist nicht einfach die Hölle!) als auch der soteriologische Aspekt (wir haben das Paradies nicht auf Erden!) aufzugreifen. Aus beiden zusammen lässt sich theologisch auf die (Sinn-)Krise der Neuzeit antworten, die Hille mit P. Tillich als die „drei Kränkungen des modernen Menschen“ näher beschrieb. Als dritten Aspekt einer theologischen Antwort auf die Sinn-Krise nannte er schließlich den eschatologischen. Folglich hat der Mensch einen sinnstiftenden Platz an der Sonne, unter dem Kreuz und findet seinen sinnstiftenden Platz schließlich im himmlischen Jerusalem.

PD Dr. habil Peter Zimmerling

Gemeinsam statt einsam
Zur Bedeutung der Gemeinschaft

Im vierten Hauptreferat sprach PD Dr. habil. Peter Zimmerling (Universität Mannheim/Universität Heidelberg) über „Die Bedeutung der Gemeinschaft für den Menschen angesichts der Postmoderne“. Nachdem er in einem ersten Teil auf Einsichten aus den Humanwissenschaften über die Notwendigkeit der Gemeinschaft hingewiesen und von Seiten der Theologie den Menschen als in einem vierfachen Beziehungsgeflecht stehend beschrieben hatte – der Beziehung zu Gott, zu dem menschlichen „Du“, zur übrigen Lebenswelt, zu sich selbst –, machte er in einem zweiten Teil auf Gefährdungen dieser Beziehungen in der Gegenwart aufmerksam. Daran schlossen sich im dritten Teil Konkretionen an, wie eine Erneuerung der Gemeinschaft aussehen kann. Darin plädierte Zimmerling für eine Pluralisierung des Gemeinschaftsangebotes in der Gemeinde, hob die Heilkraft gelebter christlicher Gemeinschaft hervor und deutete an, wie eine solche realisiert werden kann (z.B. christliche Gemeinschaft als Raum der Wahrhaftigkeit, Schutzraum der Freiheit, Raum zur Persönlichkeitsentfaltung etc.), wobei er auch mögliche Gefährdungen und Probleme nicht ausblendete.

PD. Dr. Peter Zimmerling bei seinem Referat

Wann ist ein Mensch ein Mensch?
Menschenwürde und Gentechnologie

In dem fünften Hauptreferat befasste sich Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff (Universität Freiburg/Breisgau) mit der Bestimmung der Menschenwürde und kommentierte auf diesem Hintergrund gegenwärtige Entwicklungen in der Gentechnologie. Er zeichnete drei wesentliche Einflüsse auf den Begriff der Menschenwürde nach (griechisches Denken, christliche Tradition, Aufklärung) und zeigte auf, dass mit den Begriffen „Menschenwürde“ und „Gottebenbildlichkeit“ zwar unterschiedliche Perspektiven eingenommen werden (einerseits der Mensch aus sich selbst heraus, andererseits der Mensch aus seinem Gottesbezug), sie in ihrem normativen Kern jedoch gleich sind: sie bezeichnen die Gleichheit des Menschen. Für die Bestimmung der Menschenwürde stellte Schockenhoff die gegenwärtige Einsicht heraus, dass das Menschsein bestimmt ist durch Leiblichkeit und Naturhaftigkeit. Wenngleich der Mensch nicht darauf beschränkt werden kann, so stellt doch die Leiblichkeit der menschlichen Existenz die äußere Grenze dar, in der sich die sittliche Eigenständigkeit manifestiert. Menschenwürde gilt damit nicht erst für die Ausbildung der Leiblichkeit, sondern in jeder Ausbildung/Form/Erscheinungsform des Menschseins, unabhängig davon wie stark diese ausgebildet sind! Auf diesem Hintergrund führte Schockenhoff im zweiten Teil seines Referats aus, wie anhand der drei Kriterien, vor denen jegliches Handeln zu verantworten ist (Rechtfertigung der Ziele; Rechtfertigung der Folgen; Rechtfertigung der Mittel/Wege, durch die/auf denen das Ziel erreicht werden soll), gegenwärtige Entwicklungen und Diskussionen in der Gentechnologie zu bewerten sind. So ist etwa die Präimplantationsdiagnostik (PID) aufgrund des Kriteriums der „Rechtfertigung der Mittel“ problematisch, da hier aus einer Überzahl von Embryonen ausgewählt wird, die eine Instrumentalisierung darstellt, damit als vorbehaltliche Annahme gelten muss und mit der Menschenwürde unvereinbar ist.

Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff (Universität Freiburg)

Was sonst noch geschah

Eingebettet in die AfeT-Studienkonferenz fand in festlichem Rahmen die diesjährige Verleihung des Johann-Tobias-Beck-Preises statt. Er ging an Prof. Dr. Eckhard Schnabel (Trinity Evangelical Divinity School, Deerfield/Illinois, USA) für die Arbeit Urchristliche Mission. Mit viel Lob und manch weiterer Anregung bedacht durch Pfr. Dr. Heinz-Werner Neudorfer (Weil im Schönbuch), wandte sich der Preisträger in seinem Vortrag dem Problem der Konzeption einer Theologie des Neuen Testaments zu („Evangelium, Mission und Gemeinde: Die Theologie des Neuen Testaments als Missionstheologie“).

Pfr. Dr. Eckhard Hagedorn und Prof. Dr. Eckhard Schnabel

Anfangs- und Zielpunkt jeden Tages bildeten die Bibelarbeiten und Abendandachten. Mit seinen Bibelarbeiten zu Ps 39; Luk 13,6–9 und Ps 131 machte Dr. Eckhard Hagedorn (Chrischona/Ch) nicht einfach auf weitere relevante Texte zur Anthropologie aufmerksam, sondern gab uns Gedankenanstöße mit auf den Weg über die Konferenz hinaus bis in unseren Alltag – tiefgreifend in der Sache und ergreifend in der sprachlichen Umsetzung. Vielen von uns werden Sätze wie (sinngemäß) „So groß ist der Mensch – er geht Gott bis ans Herz“ weiter nachgehen. Angenehm, weil unaufgeregt und ruhig, vermochte Past. Siegfried Liebschner (Hamburg) den Tag mit seinen Andachten abzuschließen. Jeweils anhand eines Kirchenliedes lies er den Tag Revue passieren und führte alles theologische Arbeiten des Tages und uns selbst der eigentlichen Mitte zu und richtete es daran aus: Jesus Christus.

Uwe Rechberger, Pfr. Dr. Heinz-Werner Neudorfer, Rektor Dr. Wilfrid Haubeck

Diese wenigen Einblicke zeigen, dass die Konferenz eine Fülle an Impulsen und Klärungen zum gestellten Thema bereithielt. Persönlich sah ich den Gewinn freilich vor allem in der Form als Konferenz: in der Gemeinschaft wurde versucht, das Thema zu erarbeiten. Die persönliche Begegnung bot Möglichkeiten zur Rückfrage bei unterschiedlichen Meinungen, zu Klärungen und vermochte auch bleibende Differenzen auszuhalten. Und so sind es gerade die persönlichen Gespräche, die besonders prägend bleiben; die enthusiastischen ebenso wie die nachdenklichen, die ermutigenden Gespräche so, wie die bangenden.

Studienleiter Dr. Manfred Dreytza, Pfr. Gerhard Krömer (A), Prof. Dr. Eckhard Schnabel

Ein Ausblick

Seminargruppe mit Dr. Christian Herrmann

Alle Mitglieder und Freunde des AfeT sind herzlich eingeladen, sich durch den bald erscheinenden Berichtsband zu gemeinsamer Forschung anregen zu lassen sowie an der nächsten Konferenz in zwei Jahren (wieder) persönlich teilzunehmen und so an der Umsetzung der Zielstellung des AfeT mitzuwirken: in der Gemeinschaft miteinander eine biblisch erneuerte Theologie zu fördern.

Teilnehmer  
aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen – ETM 9/2 (2003)
Herausgeber: AfeT – Arbeitskreis für evangelikale Theologie
08.03.2004 – http://www.afet.de