Liebe Freunde im AfeT, es freut mich, dass wir Ihnen mit dieser Ausgabe unserer Mitteilungen wieder etwas vom breiten Spektrum unserer aktuellen Tätigkeit in den diversen Facharbeitsgruppen des AfeT mitteilen können. Die Darstellung des Theologischen Seminars der Evangelisch-methodistischen Kirche in Reutlingen, das in diesem Heft von Dr. Roland Gebauer vorgestellt wird, gehört in unsere Tradition theologischer Ausbildungsstätten. Und doch fällt dieses Seminar durch seinen Versuch einer Vermittlung von erwecklicher Frömmigkeit mit konsequent historisch-kritischer Bibelwissenschaft deutlich aus dem evangelikalen Rahmen.
Des weiteren zeichnet Dr. Helmut Burkhardt ein eindrückliches Porträt des verstorbenen Schweizer Theologen Felix Flückiger.
Ich möchte schließlich mit diesem Editorial an einen für den AfeT in besonderer Weise wichtigen Jubilar gedenken. Am 22. Februar 1804, also vor 200 Jahren wurde Johann Tobias Beck in der württembergischen Oberamtsstadt Balingen geboren. Aus diesem Anlass fand am Geburtstag in Balingen ein Festgottesdienst mit Landesbischof Dr. Gerhard Maier und einer sehr informativen Vortragsveranstaltung am Nachmittag statt.
Am Samstag, dem 11. Dezember 2004 sind wir als AfeT zu einer weiteren Gedenkveranstaltung im akademischen Rahmen eingeladen. Die evangelisch-theologische Fakultät der Universität Tübingen, das Evangelische Stift und das Albrecht-Bengel-Haus laden gemeinsam ins Theologicum der Universität Tübingen zu Vorträgen und Seminaren über J. T. Beck ein. In deren Kontext wird um 14.30 Uhr im Plenum der Johann-Tobias-Beck-Preis 2004 des AfeT verliehen werden. Eines der Seminare über Becks Missions- und Reich-Gottes-Verständnis hat Dr. Helmut Burkhardt übernommen. Das Abschlussreferat hält Landesbischof Dr. Gerhard Maier.
Lassen Sie mich die Gelegenheit dieses Jubiläumsjahres wahrnehmen, um in einer knappen Darstellung die Persönlichkeit und die Theologie Johann Tobias Becks zu skizzieren.
Beide Eltern haben Beck nachhaltig geprägt. Die Mutter war tief von der Frömmigkeit des schwäbischen Altpietismus bestimmt, der Vater, von Beruf Seifensieder, wurde stark von der Aufklärung des 18. Jahrhunderts beeinflusst. Der Wunsch seines Sohnes Johann Tobias, Pfarrer werden zu wollen, stieß deshalb zunächst nicht auf die Gegenliebe des Vaters.
Beck schlug den typischen Weg des württembergischen Theologen ein. Zunächst erhielt er – zusammen mit Eduard Mörike – am Uracher Seminar eine hervorragende altphilologische Gymnasialbildung. Von 1822 bis 1827 studierte er als Stipendiat am Evangelischen Stift Theologie. Der sogenannte Supranaturalismus der Ersten Tübinger Schule hat ihn allerdings kaum beeinflusst. Nach dem kirchlichen Examen heiratete er Luise Fischer aus Balingen, die allerdings bereits 1838 starb. 1839 heiratete er die Tübingerin Mathilde Märklin.
Beck wurde 1829 Stadtpfarrer in Mergentheim und dort auch Gymnasialdirektor. 1836 erhielt er auf Empfehlung des „Vereins zur Beförderung christlich-theologischer Wissenschaft und christlichen Lebens“ eine Berufung als außerordentlicher Professor an die Universität Basel, um dort zu dem historisch-kritischen Exegeten De Wette ein konservatives Gegengewicht zu bilden. 1843 berief ihn die Tübinger Theologische Fakultät auf Fürsprache des liberalen Theologen und Hegelianers Ferdinand Christian Baur als Ordinarius für systematische Theologie. Anfangs tat Beck sich an der stark von der hegelschen Philosophie bestimmten Fakultät schwer, einen Hörerkreis zu finden, aber im Laufe der Jahre füllte sich sein Hörsaal.
Neben systematischen Vorlesungen hielt er auch einzelne exegetische und praktisch-theologische Lehrveranstaltungen. Über 300 seiner „Christlichen Reden“ liegen in sechs Predigtbänden vor; die meisten davon hat er als Früh- bzw. Hauptprediger an der Tübinger Stiftskirche gehalten. Der bedeutende Erweckungstheologe August Tholuck schätzte das große seelsorgerische Charisma Becks, der sich einfühlsam und intensiv um seine Studenten bemühte.
Die theologischen Wurzeln Becks liegen bei den sogenannten Schwabenvätern Johann Albrecht Bengel und dessen Schüler Friedrich Christoph Oetinger. Seine Theologie war von der Überzeugung getragen, dass die Schrift als ganze einen „Begriffsorganismus“ darstellt, in dem die „ewige und geschichtliche Offenbarungsfülle Gottes“ begegnet. Um in den biblischen Schriften die jeweiligen „Offenbarungsstufen und die Geistwirksamkeit“ zu erkennen, muss der Ausleger selbst vom Geist Gottes ergriffen und bestimmt sein.
Beck schätzte Luther sehr und bezog sich auch immer wieder auf die Schriften des Reformators. Allerdings fühlte er sich nicht – wie die sogenannte protestantische Orthodoxie – an die altkirchliche und reformatorische Lehrtradition gebunden. So wandte er sich gegen ein mechanisches Verständnis der Schriftinspiration, hielt aber den Inhalt der biblischen Bücher für ein irrtumsfreies System der Wahrheit. Hinsichtlich der Lehre von Christus vertrat er eine subordinatianische Logoschristologie. Der Sohn und der Geist sind nur Gott, „sofern sie partizipieren an der Gottheit des Vaters, als des einen Gottes.“ In Fragen der Rechtfertigungslehre betonte er vor allem die effektive Seite gegen ein „bloß judizelles Verhältnis“ des Christen zu Gott.
Im Zentrum der theologischen Konzeption Becks steht der Reich-Gottes-Gedanke. Ziel der stufenweisen Offenbarung Gottes in der Schrift ist das Gottesreich als übersinnliche Wahrheit, die sich in die Welt einsenkt und eine „wachstümliche Progression“ erfährt. Die Bibel hat ihre Mitte und ihr Ziel in Christus. Zugang zum Reich Gottes bekommt man durch Gehorsam in der Nachfolge Christi. „Das Sittliche ist der Arm, durch den Gott den Menschen ergreift“, konnte Beck sagen. Es kommt durch die Wiedergeburt zu einer fortschreitenden Umbildung und Verwandlung des Gläubigen in das Bild Christi. Die Gemeinde Jesu setzt sich aus der „Gesamtheit der wiedergeborenen Individuen“ zusammen. Die Kirche als Institution ist eine „göttliche Bundesstiftung“.
Das letzte heilsgeschichtliche Stadium in Becks organisch-föderaltheologischem Entwurf stellt dann das Tausendjährige Reich dar, in dem Christus mit seinen Heiligen auf Erden in Frieden herrschen wird. In dieser Sichtweise ist Beck auch deutlich von Philipp Matthäus Hahn bestimmt.
Wegen seiner christuszentrierten Eschatologie verhielt sich Beck gegenüber stark aktivistischen Bemühungen erweckter Kreise im Blick auf deren missionarische und diakonische Projekte recht reserviert und mitunter sogar ablehnend. Das brachte ihn in eine schwierige Position zwischen den kirchenpolitischen und theologischen Lagern seiner Zeit, nämlich der Erweckung, dem lutherischen Konfessionalismus und der Aufklärung. So erfuhr Beck auch vielfältig Angriffe von theologischen Gegnern und wurde von biblizistisch gesonnenen Freunden missverstanden und zum Teil heftig kritisiert. Er selbst bemühte sich um Sachlichkeit und Toleranz im Umgang mit seinen Widersachern, was der liberale Ferdinand Christian Baur schon früh an ihm schätzte.
Beck war Zeitgenosse der industriellen Revolution und musste sich auch mit den Auswüchsen des Frühkapitalismus auseinandersetzen. Da er für politische Fragen offen war, wollten ihn seine Balinger Mitbürger sogar als Kandidaten für die Wahl zum Stuttgarter Landtag aufstellen. Dies lehnte Beck jedoch ab, weil er nicht über seine Berufung hinausgehen wollte. Aber er nahm zu wichtigen Streitfragen Stellung; so sprach er unter anderem im Herbst 1847 vor Vertretern der niedergeschlagenen Revolution. Die politische Restauration, der die meisten erweckten Kreise und das konfessionelle Luthertum anhingen, war nicht seine Sache. Er setzte sich mit der Sozialkritik von Karl Marx auseinander, betonte aber entschieden, dass alle Erneuerung nicht von der Gesellschaft als ganzer ausgehen könne, sondern nur von durch den Heiligen Geist erneuerten Menschen. Aller Vermischung von Weltreich und Gottesreich war er abhold.
Über die Jahre stand Johann Tobias Beck im Mittelpunkt eines großen Schülerkreises, ohne jedoch Starallüren zu entwickeln oder dem „Professorenkult“ zu verfallen. Sein Einfluss reichte weit über Deutschland und die Schweiz hinaus. Besonders in Finnland gewann er bis ins 20. Jahrhundert hinein gewichtigen Einfluss an der Universität Helsinki.
Als hervorragender Vertreter des Biblizismus prägte er Hermann Cremer, Martin Kähler, Adolf Schlatter, Karl Heim und auch Karl Barth nachhaltig. Barth war von Beck so angetan, dass er ihn in seiner Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts mit großer Begeisterung würdigte. Beck war ohne Frage eine originale christliche Persönlichkeit, die als ansteckendes Vorbild wirkte und eine weitreichende Ausstrahlung als theologischer Lehrer und Seelsorger ausübte. Und dies vielleicht gerade deshalb, weil er letztendlich nicht mehr sein wollte als ein „Nachfolger und Schüler der göttlichen Einfalt“.
Liebe Freunde des AfeT, seit 1987 vergeben wir jährlich den Johann-Tobias-Beck-Preis. Ich denke, der 200. Geburtstag Becks ist ein guter Anlass, sich dieses Glaubensvaters und biblischen Lehrers zu erinnern. Beck war so tiefgründig in seinem Forschen in der Schrift und so unabhängig gegenüber den zeitgenössischen Gruppierungen in Theologie und Kirche, dass die ernsthafte inhaltliche Begegnung mit ihm für uns alle fruchtbar werden könnte.
Mit dieser Anregung grüße ich Sie verbunden mit herzlichem Dank für alle Unterstützung aus Tübingen
Ihr