Heilung, Dispensationalismus, christliche Politik, Einzigartigkeit Christi

Das Treffen der Facharbeitsgruppe Systematische Theologie

Christian Herrmann

Am 20. und 21. Februar 2004 traf sich die Facharbeitsgruppe Systematische Theologie im Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen zu ihrer Frühjahrstagung. Die Teilnehmerzahl schwankte zwischen acht und dreizehn Personen, weil manche nur am ersten Tag dabei sein konnten, sich andererseits Studenten als Zuhörer hinzugesellten und ein Ehepaar kurzfristig absagen musste. Die Diskussion der Referatsthemen und der persönliche Austausch fanden jedoch in intensiver Weise statt. Die Veranstaltung kann als Erfolg eingestuft werden.

Nicht geschehene Heilung

Dozent Lic. theol. Roland Scharfenberg (Bibelseminar Königsfeld) stellte die Grundeinsichten seiner bereits eingereichten Dissertation über den Umgang der Heilungsbewegung mit faktisch trotz entsprechender Gebete nicht erfolgter Krankenheilung vor. Vom exegetischen Befund her ergebe sich ein differenziertes Bild: Jesus hat nicht alle Kranken geheilt, häufig mit der körperlichen Heilung eine Veränderung der Gottesbeziehung (Sündenvergebung) verbunden, unterschiedliche Methoden angewandt. Der Glaube gilt nicht grundsätzlich als Vorbedingung der Heilung, so dass sich umgekehrt bei nicht erfolgter Heilung eine monokausale Schuldzuweisung an den Kranken wegen fehlenden oder ungenügenden Glaubens – Problem des „attestierten Unglaubens“ zusätzlich zu dem der Krankheit – verbietet. Krankheiten sind Ausdruck der Gefallenheit der Schöpfung und müssten im Sinne der Spannung des Schon jetzt und Noch nicht des Reiches Gottes insgesamt getragen werden. Andererseits dürfe, ja solle man um Heilung bitten und nicht zu schnell zur Akzeptanz des Leidens auffordern (2. Kor. 12, 7ff. auf Verfolgung, nicht Krankheit zu beziehen!) bzw. aus Furcht vor nicht erfolgender Heilung das entsprechende Gebet darum unterlassen. Der Unglaube kann das Wirken Gottes beeinträchtigen, der Glaube das Heilungsgeschehen positiv beeinflussen. Heilungen gehören als eine von mehreren Manifestationen des Sieges Gottes über Sünde und Teufel zur Wirklichkeit des christlichen Lebens hinzu. Eine Alternative von Glaubensheilung und Medizin wird nur von wenigen Vertretern der Heilungsbewegung behauptet; in Zeiten und Regionen mangelnder medizinischer Versorgung begegnen Glaubensheilungen häufiger. In der Diskussion wurde in Zweifel gezogen, dass die körperliche Heilung der Normalfall sei. Bei Heilungskampagnen werdeder Blick leicht von der Souveränität Gottes auf das menschlich Machbare hingelenkt. Es sei auch die Frage, ob die Heilung oder nicht vielmehr die Sündenvergebung das relativ Schwerere sei (Mk. 2,9–10).

Einführung in den Dispensationalismus

Dozent Pfr. Berthold Schwarz (FTA Gießen) führte in Anliegen, Entwicklung und Strömungen des Dispensationalismus ein. „Ideenlieferanten“ gab es schon vor dem eigentlichen Beginn dieser Schulrichtung im 19. Jahrhundert in heilsgeschichtlichen Entwürfen z. B. bei Irenäus von Lyon, Joachim von Fiore, Coccejus, Bengel, Jonathan Edwards. Jesuitische Theologen beschäftigten sich mit der biblischen Apokalyptik, um den Antichristvorwurf vom Papst abzuwenden. Als ausgebildetes Denksystem begegnet der Dispensationalismus aber erst bei Darby und in der Brüderbewegung, dann auch bei Moody und Scofield (durch Scofield-Bibel stärkste Verbreitung!). Der Ausgangspunkt sei die Annahme, dass alle prophetischen und apokalyptischen Texte der Bibel im Literalsinn zu verstehen und immer dann bzw. nach wie vor auf das irdische Volk Israel zu beziehen seien, wenn dieser Bezug in den Texten selbst vorliegt; eine Substitution Israels durch die Kirche wird abgelehnt. In manchen Fällen stellen die Dispensationalisten ein überschießende Moment des Inhalts der Prophetien über das historisch bereits Geschehene fest, so dass noch etwas zu erwarten ist. In der Art und Weise der Periodisierung der bereits erfolgten und zukünftigen Heilsgeschichte unterscheiden sich die Entwürfe teilweise erheblich (verschiedene Falttafeln). Der klassische Ansatz der Zeit von 1840 bis 1940 wird in der Zeit von 1950 bis 1985 modifiziert: Die frühere Aufteilung in verschiedene heilsgeschichtliche Volksgruppen (Christen als himmlisches, Israel als irdisches Gottesvolk) wird abgelehnt und auch die Entrückung der Gemeinde vor Trübsal und Tausendjährigem Reich wird nicht durchgängig behauptet. Seit 1985 gibt es einen „progressiven“ Dispensationalismus, der Überlappungen der heilsgeschichtlichen Epochen annimmt. In der Diskussion wurde das Problem angesprochen, dass bestimmte biblische Texte in ihrer Relevanz nur bestimmten Epochen zugeordnet werden. Die Frage, ob unterschiedliche Epochen auf mehrere Weltgegenden verteilt gleichzeitig stattfinden könnten (Missionssituaion), wird von den Dispensationalisten kaum reflektiert.

Christliche Politik

Am Beispiel der Schrift „Christenstaat“ des frühpietistischen Staatstheoretikers Veit Ludwig von Seckendorff (1626–1692) fragte Dr. Christian Herrmann (Universitätsbibliothek Tübingen) nach dem Verhältnis von christlicher Politik und Zweireichelehre. Dabei ging es um eine Verbindung des deontologischen Ansatzes (Gott als Schöpfer; Freiheit im Sinne von Unverfügbarkeit und Unterschiedenheit) und des teleologischen Ansatzes der Ethik (Gott als Richter). Die Vorgängigkeit der Normen, wie sie den Institutionen (als Einsetzungen durch Gott) mitgegeben sind, ermögliche die Differenzierung der Bedürfnisse der Menschen, die Kritik anstelle der Bestätigung der jeweiligen Zustände und Verhaltensweisen, den Ruf zur Buße und Rückkehr zum Ursprungssinn. Der Dienst steht anstelle des Anspruchsdenkens und wird erst durch das Vorhandensein von Unterschieden ermöglicht. Die Frage nach dem „Hauptzweck“ des Lebens führe zur Differenzierung des Relativen und Absoluten (viele Missstände wegen falscher Prioritätensetzungen!). Im Verhältnis der Individuen wie auch des Staates und der Kirche zueinander gehe es um Mäßigung eigener Ansprüche, waseine Entlastung, nicht eine Einengung bedeutet. Ein Ausblick auf die neuere Theologie zeigte, dass die Hauptdifferenz darin besteht, ob man bei Einzelpersonen oder Strukturen ansetzt, ob Strukturen (Normen; erstes Gebot!) vorgegeben oder erst zu schaffen sind, ob Schöpfung und Freiheit Gabe oder Aufgabe sind (Gegensatz U. Duchrow / O. Bayer). In der Diskussion wurde deutlich, dass christliche Politik nicht klerikalistisch, sondern nur werbend, argumentativ vorgehen kann. Der gesellschaftliche Pluralismus kann ausgehalten werden in der Gewissheit, dass sich die Wahrheit des Wortes Gottes durchsetzen wird.

Einzigartigkeit Christi

Für die kurzfristig erkrankte Dipl.-Theologin Gudrun Theurer sprang spontan Rektor Dr. Rolf Hille (Albrecht-Bengel-Haus Tübingen) mit einem Werkstattbericht über die Arbeitsgruppe des Lausanner Forums zur Einzigartigkeit Christi ein. Die Einzigartigkeit Christi und das damit zusammenhängende Recht des Absolutheitsanspruches Christi (exklusiver Heilsweg über Christus) sei für den Menschen mit seinen eigenen Mitteln nicht wirklich zu erkennen. Im Unterschied etwa zum Islam macht sich jedoch Gott erkennbar nicht in einem krassen Gegenüber zum Menschen, sondern in der Inkarnation und Kondeszendenz. Die postmoderne Patchworkreligiosität gehe an den wahren Bedürfnissen der Menschen vorbei. In der Diskussion wurde gefragt, ob man tatsächlich bei den Bedürfnissen der Menschen ansetzen könne oder es nicht vielmehr auf ein Bekenntnis und eine Begegnung mit Gott ankomme, die gerade quer zu den menschlichen Wünschen und Vorstellungen steht, diese aber in einer unerwarteten Weise dadurch erfüllt. Es gehe darum, der Kraftdes Gotteswortes (1. Kor. 1!) Raum zu geben und das Herrsein Gottes herauszustellen. In frommen Kreisen werde häufig in subjektivistischer Weise der ganz persönliche Gott betont, dabei aber der kosmologische Zusammenhang ausgeklammert. Die Behauptung, der Mensch könne nur noch individuelle Geschichten, aber keine Metageschichte mit Allgemeinanspruch erzählen, stimme nicht; der Raum für die Metageschichte bleibt nie leer, wie das Beispiel der weitgehend unhinterfragten Evolutionstheorie zeige.

 
aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen – ETM 10/1 (2004)
Herausgeber: AfeT – Arbeitskreis für evangelikale Theologie
12.09.2004 – http://www.afet.de