Mit „Geist und Gebet“ aus „Ägypten“ via „Exodus“ zu „Wilhelm Lütgert“

Das Doktoranden- und Habilitandenkolloquium des AfeT

Uwe Rechberger

Weit herum gekommen sind wir beim diesjährigen AfeT-Doktoranden- und Habilitandenkolloquium am 5. und 6. März 2004 im Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen. Sind die Facharbeitsgruppen ihren jeweiligen Schwerpunkten verpflichtet, kann sich das Doktoranden- und Habilitandenkolloquium den Blick über den Tellerrand erlauben. Und diese vielfältige Aussicht haben wir genossen, beflügelt von einer herzlichen Gemeinschaft untereinander, dem Besuch bei Familie Riesner und der Gastfreundschaft des Albrecht-Bengel-Hauses. Die „Bätscher“, eine schwäbische Spezialität aus dem Hause Riesner, gibt es traditionell nur am Freitagabend beim Kolloquium. Die sind inzwischen verzehrt, an unseren geistigen Genüssen wollen wir Sie allerdings gerne teilhaben lassen.

Geist und Gebet

Am Freitag referierte zunächst Christoph Schrodt aus Herzogenaurach zum Thema „Geist und Gebet“. Er begann mit einem Blick auf das Alten Testament. Da ist die Verbindung zwischen dem Geist Gottes und dem Gebet eher indirekt. Die Psalmen sind Gebete und gelten zugleich als inspiriert. Die Fürbitte oblag vor allem den geistbegabten Menschen (Propheten, Priester, König, Knecht JHWHs). Auch bei der sog. ekstatischen Prophetie ist ein Gebetselement unverkennbar. Schließlich verheißt Sach 12,10 die Ausgießung des „Geistes des Gebets“. Im Neuen Testament sind die Hinweise vielfältig. Hier ist der Geist Gottes tief ins menschliche Beten involviert. Dies wird nach Christoph Schrodt nicht nur bei Jesu eigenem Beten sichtbar (Abba als messianische Gebetsanrede), sondern auch in der Glossolalie (vgl. Apg 2,4.11; 1Kor 12,4–11; 14,2.14), im Abba-Ruf (Röm 8,15f; Gal 4,6) und im Seufzen des Geistes, das sich mit unserem Seufzen verbindet (Röm 8,23.26f). Das Beten im Namen Jesu in den johanneischen Abschiedsreden ist ein Beten, das durch die Sendung des parakletischen Geistes ermöglicht wird. – Es lassen sich folgende Schwerpunkte beschreiben: Geist und Gebet stehen vor allem beim Christwerden miteinander in Verbindung. Wo der Geist Gottes einen Menschen erfüllt, „äußert“ er sich im Gebet des Menschen. (Welche Konsequenzen hat das evtl. für die kirchliche Bekehrungs- und Taufpraxis?). Kirche ist von ihrem Wesen her Gebetsgemeinschaft; das Gebet ist wesentliches Erkennungsmerkmal für die Geistesgegenwart und für das Kirchesein von Kirche. (Was besagt das über eine Kirche, in der Programme „gemacht“ aber kaum noch gebetet wird?). Der Geist äußert sich nicht nur im menschlichen Beten, sondern er „ent-äußert“ sich auch darin. Diese sog. „Kenosis“ des Geistes ist wesentlich in der personalen Gottesbeziehung des Christen beheimatet. Dies muss gegenüber allzu breit angelegten kosmischen Geist-Konzepten deutlich gemacht werden.

Ägypten – Gefährdung der Verheißung

Zum Thema „Die Funktion der Heidenvölker für die Heilsgeschichte Israels im Pentateuch mit einer besonderen Berücksichtigung Ägyptens“ referierte Joachim Schuster (Krefeld). In der Urgeschichte lassen sich zwei Linien erkennen, die Linie der Rebellion gegen und die der Treue zu Gott. Letztere mündet in die Abrahamstexte und bereitet die Erwählung Israels vor. Bei Noah lässt sich durch parallele Motive zeigen, dass er einerseits als ein „zweiter Adam“ nach dem Gericht den Neuanfang der Menschheit verkörpert, andererseits ein Vorläufer Abrahams und Israels ist. In der Abrahamsgeschichte stehen theologisch die Themen „Treue bzw. Untreue gegenüber der Verheißung Gottes“ sowie „Verhältnis zu den Nationen“ im Mittelpunkt. Joachim Schuster erkennt einen regelmäßigen Aufbau von drei „Krisen der Verheißung“, die sich jeweils auf dem Hintergrund der „heidnischen“ Umwelt ereignen: Im „Ägyptenzug Abrahams“ steht die Landesverheißung im Mittelpunkt (Gen 12–15); in den „Hagar-Erzählungen“ die Nachkommensverheißung (Gen 16–21) und in der Erzählung „Abraham in Gerar“ die Segensverheißung für die Nationen (Gen 20–22). In diesen drei Abschnitten wird beschrieben, wie Abraham die Initiative ergreift, jenseits der Verheißung Hilfe zu suchen statt der Verheißung zu vertrauen. Aber gerade dadurch wird die Verheißung tatsächlich gefährdet und Gott muss helfend eingreifen. Danach wird jeweils Abrahams Treue dargestellt, der Bund bestätigt und Abrahams Funktion gegenüber seiner Umwelt beschrieben. In den Isaaks-Erzählungen finden sich dieselben Motive, ohne dass es aber dabei zu einer Gefährdung der Verheißung kommt.

Leserherausforderung JHWH im Buch Exodus

Am Samstagmorgen folgte auf Frühstück und Andacht ein Vortrag von Stephan Kürle (Marburg): „Der Einfluss der Charakterisierung JHWHs in Exodus auf die Leserrezeption.“ Kürle untersuchte dabei die rhetorische Strategie des Autors von Exodus. Darunter verstand er die Art, den narrativen Stoff so anzuordnen und zu formen, dass seine Leser mit größter Wahrscheinlichkeit zu seinem kommunikativen Ziel bewegt werden. Der Vortrag konzentrierte sich beispielhaft auf die Darstellung JHWH als einem der Hauptcharaktere im Buch Exodus. Kürle zeigte, dass wir als Leser JHWH in den narrativen Teilen von Exodus so begegnen, dass er uns als vertrauenswürdig erscheint, überaus mächtig und damit willig und fähig, seinem Volk den Vätersegen zukommen zu lassen (vgl. Schilfmeerlied). In den Gesetzessammlungen erleben wir JHWH in performativer Rede, wenn er die verschiedenen Lebensbezüge in seinem Volk ordnet. In dieser ordnenden Funktion wird JHWH als ein königlicher Gesetzgeber dargestellt, der für allgemeine und soziale Gerechtigkeit sorgen will. Dem Leser wird damit ein Ideal vorgestellt, das an höchster telle festgemacht, getragen und auch motiviert wird. Der implizierte Leser von Exodus versteht sich ja als Teil des Bundesvolkes, das in Exodus in seinen Bezügen umrissen wird. Der Autor versucht den Leser dahin zu bewegen, selber als ein würdiger Teil dieses Gottesvolkes zu leben. Ein Mittel dazu ist offensichtlich die Präsentation JHWHs als Befreier und König, bei dem Bewunderung und Gehorsam nicht besonders schwer fallen dürften. So wird der Charakter JHWH für Exodus zu einem treibenden Programm. Es wird eine Spannung zwischen Soll- und Istzustand entfaltet, die den Plot und die Motivation zum Lesen vorantreibt. Diese Spannung wird in die außertextliche Welt des Lesers hineingetragen und fordert zu Stellungnahme heraus und vermittelt Orientierung.

Zwischen Erkenntnistheorie und Sozialethik: Wilhelm Lütgert

Abschließend referierte Peter Müller (London) zum Thema: „…damit Gott alles in allem sei – Das Leben (und Werk) Wilhelm Lütgerts (1867–1938)“, wobei der Schwerpunkt auf der biographischen Darstellung lag. Am 9.4.1867 kam Wilhelm Lütgert in Heiligengrabe als drittältestes von elf Kindern zur Welt. Er studierte von 1886 bis 1888 und wieder von 1890 bis 1892 an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald, die damals unter Hermann Cremer in ihrer Blüte einer positiv, biblisch orientierten Theologie stand. Während der drei Studiensemester in Berlin (1888–1890) war Lütgert weder von Adolf von Harnack noch von anderen dem Liberalismus zugeneigten Professoren theologisch angetan. Adolf Schlatter, der seit 1888 in Greifswald lehrte, beeinflusste Lütgerts theologische Entwicklung am meisten und blieb sein lebenslanger Weggefährte und Freund. Von 1892 bis 1901 war Lütgert Extraordinarius für Neues Testament in Greifswald. Danach wurde er als Nachfolger des verstorbenen Willibald Beyschlag als ausserordentlicher (ab Okt. 1902 als ordentlicher) Professor für Neues Testament nach Halle berufen. Zum Sommersemester 1913 wurde Lütgert als Ordinarius für Systematische Theologie gewählt und trat damit die Nachfolge des 1912 verstorbenen Martin Kählers an. 1929 wechselte Lütgert nach Berlin auf den Systematischen Lehrstuhl des 1927 emeritierten Reinhold Seebergs. Über seine Zwangsemeritierung am 28.3.1935 hinaus war Lütgert auch in die Auseinandersetzungen des Kirchenkampfes verwickelt. Obwohl er sich der Bekennenden Kirche anschloss, stand er bis zu seinem überraschenden od am 21.2.1938 in Distanz zum Dahlemer Flügel der Bekenntniskirche, damit zwischen den Fronten, weil er sich von keiner Seite theologisch instrumentalisieren lassen wollte. Lütgerts Forschungsarbeiten – auch seine Untersuchungen zum Deutschen Idealismus und seine exegetischen Werke – subsumieren sich unter die zwei Themen Erkenntnistheorie (Einordnung der Natur in die Gotteslehre) und Sozialethik (Wiedergewinnung des Liebesgebotes für die protestantische Ethik).

Das nächste Doktoranden- und Habilitandenkolloquium, zu dem alle Interessierten eingeladen sind, findet am 11. und 12. März 2005 in Tübingen statt.

 
aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen – ETM 10/1 (2004)
Herausgeber: AfeT – Arbeitskreis für evangelikale Theologie
19.12.2007 – http://www.afet.de