Roland Gebauer
Das Theologische Seminar Reutlingen ist die theologische Ausbildungsstätte der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK) in Deutschland, der deutschsprachigen Schweiz und Österreich. Seine Wurzeln reichen bis ins Jahr 1858, als der deutschamerikanische Theologe Dr. Ludwig Sigismund Jacoby mit der Predigerausbildung in Bremen begann. 1877 wurde in Reutlingen das Predigerseminar der (methodistischen) Evangelischen Gemeinschaft gegründet. Nach der Vereinigung der Methodistenkirche mit der Evangelischen Gemeinschaft (1968) fand das gemeinsame Theologische Seminar (TS) nach einem dreijährigen Interim in Frankfurt am Main seinen Platz in Reutlingen. Im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands wurden dem TS Reutlingen 1991 auch die Aufgaben des Theologischen Seminars der ostdeutschen EmK (Bad Klosterlausnitz) übertragen, so daß es nunmehr die einzige methodistische theologische Ausbildungsstätte im deutschsprachigen Raum ist.
Wie es der theologischen Tradition des Methodismus entspricht, versucht das TS Reutlingen eine erweckliche mit einer kritisch-theologischen Ausrichtung zu verbinden. Die Betonung der persönlichen Antwort des Glaubens und des Lebens in der Heiligung geht zusammen mit kritischem theologischem Denken, das sich auch die überzeugenden Erkenntnisse einer wissenschaftlichen Theologie zu eigen machen kann. Dabei wird das Studium auf die Ausbildung von Pastorinnen und Pastoren der EmK sowie Mitarbeiter/innen in der äußeren und inneren Mission ausgerichtet. Dem liegt das Konzept zugrunde, daß verantwortlicher Dienst in diesen Aufgabenbereichen vor allem eine fundierte theologische Kompetenz erfordert. „Theologie für die Praxis“ lautet denn auch das Motto der Ausbildung am TS Reutlingen. Weil es demzufolge nicht allein um Theologie als Wissenschaft geht, werden Aspekte der Spiritualität, der kommunikativen Kompetenz und der Persönlichkeitsbildung in das Studium integriert.
Umgesetzt wird diese Konzeption durch einen Lehrplan, der neben den herkömmlichen theologischen Disziplinen der Exegese des Alten und des Neuen Testaments, der Kirchengeschichte, der Systematischen und der Praktischen Theologie auch humanwissenschaftliche Fächer wie Psychologie, Pädagogik und Rhetorik enthält. Wird der Unterricht im letztgenannten Bereich durch drei Lehrbeauftragte erteilt, so stehen für die Theologie im engeren Sinne sieben hauptamtliche Dozent/inn/en zur Verfügung. Dabei ist die Praktische Theologie doppelt besetzt, da ein wesentlicher Schwerpunkt der Ausbildung die gezielte Vorbereitung auf die spätere Gemeindepraxis ist. Die Besonderheit der zweiten Dozentur in der Praktischen Theologie besteht darin, daß sie von einer Einrichtung der internationalen EmK getragen wird und sich schwerpunktmäßig mit der Kommunikation des Evangeliums in der modernen Welt befaßt. Das hohe Gewicht der Praktischen Theologie spiegelt sich schließlich auch in einem weiteren Lehrauftrag für den Examensjahrgang wider, in dem die Theorie des geistlichen Amtes in individueller Zuspitzung durch einen Gemeindepastor erarbeitet wird.
In den Bibelwissenschaften liegt die Betonung auf historisch-kritischer und zugleich hermeneutisch orientierter Bibelauslegung. In der historischen Theologie spielt neben der allgemeinen Kirchengeschichte die Geschichte und Theologie des Methodismus eine besondere Rolle. Hierfür ist seit einem Jahr die erste Dozentin am TS Reutlingen zuständig. In der Systematischen Theologie geht es um eine kritisch-konstruktive Erarbeitung der wesentlichen Inhalte des christlichen Glaubens, wobei ein besonderes Gewicht (gemäß methodistischer Tradition) auf der Ethik liegt. Aber auch auf philologische und philosophische Kompetenz wird großer Wert gelegt, so daß für die Sprachen Griechisch und Hebräisch (auf Wunsch auch Latein) sowie Philosophie ein weiterer hauptamtlicher Dozent angestellt ist.
Das Studium ist aufgeteilt in ein zweijähriges Grund- und ein dreijähriges Hauptstudium. Im Grundstudium dominieren das Erlernen der Sprachen sowie Einführungen in die einzelnen Fächer. Nach bestandener Zwischenprüfung werden im Hauptstudium die Kenntnisse vertieft und erweitert. Insgesamt sind mehrere Predigten, Katechesen sowie weitere theologische Arbeiten anzufertigen. Das Abschlußexamen, in dem alle theologischen Fächer geprüft werden, versteht sich als Herausforderung zu umfassender theologischer und hermeneutischer Arbeit in der letzten Phase des Studiums.
Vorbereitet und begleitet wird das Ganze durch mehrere Praktika. So geht dem Studium in der Regel ein einjähriges Gemeindepraktikum voraus (erste Ausbildungsphase). Während des Studiums (zweite Ausbildungsphase) sind ein Sozial- und ein weiteres Gemeindepraktikum zu absolvieren. Nach dem Examen folgt mit der dreijährigen Pastor-auf-Probe-Zeit die dritte Ausbildungsphase, in der der Dienst in der Gemeinde durch verschiedene Lehreinheiten und weitere theologische Arbeiten insbesondere in pastoral-theologischer Hinsicht reflektiert und gefördert wird.
Gegenwärtig studieren 35 Personen am TS Reutlingen. Der Anteil der Frauen liegt bei etwa einem Drittel. Die weitaus meisten Studierenden bereiten sich auf den Pastorendienst in der EmK vor. Daneben werden immer wieder ausländische Studierende aufgenommen (zur Zeit aus Brasilien, Korea und dem Iran), die einen Dienst in der weltweiten EmK und darüber hinaus anstreben. Durch die relativ geringen Zahlen ist ein hohes Maß an persönlicher Kommunikation und Betreuung möglich. Diese intensive Lern- und Lebensgemeinschaft erstreckt sich auch auf andere Bereiche. So haben Gottesdienste und Andachten in unterschiedlicher Gestalt eine hohe Bedeutung für das Studieren und Zusammenleben. Aber auch praktische Arbeiten, gemeinsame Unternehmungen und Feiern sind aus dem Seminarleben nicht wegzudenken. Positiv wirken sich auch die guten Wohnmöglichkeiten aus. In einem neu erbauten und einem umfassend renovierten Wohnheim finden nicht nur die Seminarist/inn/en, sondern auch Student/inn/en der Reutlinger und Tübinger Universitäten recht komfortable Unterkünfte.
Seit geraumer Zeit befindet sich das TS Reutlingen in einem Prozeß der akademischen Neuorientierung. So hat das Seminar die Anerkennung als Fachhochschule in kirchlicher Trägerschaft beantragt. Dieses vom Land Baden-Württemberg grundsätzlich unterstützte Vorhaben hängt von der Akkreditierung durch den Wissenschaftsrat ab, der zur Zeit mit dem Vorgang befaßt ist. Unabhängig vom Ausgang dieses Verfahrens wird in Kürze mit der Einrichtung eines Bachelor- und Masterstudiengangs begonnen. Die Planungen dafür sind in die konkrete Phase getreten. Das wird erhebliche Neuerungen im Studienbetrieb mit sich bringen, so daß einiges von dem in diesem Artikel Gesagte unter dem Vorbehalt baldiger Änderung zu sehen ist. Aber das entspricht ja dem Wesen der Theologie: die Identität des christlichen Glaubens im Wandel der Zeiten zu wahren.
Theologisches Seminar der
Evangelisch-methodistischen Kirche
Friedrich-Ebert-Straße 31
72762 Reutlingen, Deutschland
Telefon: +49 (0) 71 21 / 92 59-0,
Telefax: +49 (0) 71 21 / 92 59-14
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