Martin Brütsch, Pfäffikon / Schweiz
Die Konferenz der Fellowship of European Evangelical Theologians (FEET) findet seit 1976 alle zwei Jahre statt. Ort der Tagung 2004: Neues Leben - Zentrum, Wölmersen. Mehr als 60 Teilnehmer aus über 10 Nationen sind anwesend. Konferenzsprache: Englisch. Thema: Public Theology. Fünf Hauptvorträge, sechs Seminare, Plenumsdiskussionen, Bibelarbeiten.
Der Ort? Wölmersen. Dieser Ort ist der Landkarte Deutschlands, die von uns drei Schweizer Teilnehmern konsultiert wird, unbekannt. Unterwegs sehen wir einen Hinweis für Touristen: Westerwälder Seenplatte. Rückzug in die Provinz und Abkehr von der Welt? Ja, wenn nur im geographischen Sinn verstanden, nein, wenn ich ans offizielle Thema und auch an die vielen Gespräche im Plenum, zu zweit und in kleinen Gruppen denke: Europa und die aktuelle gesellschaftliche Situation in den europäischen Ländern sind sehr präsent.
Die Herkunft der Teilnehmer aus über zehn Ländern Europas und auch der unterschiedlichste kirchliche Hintergrund geben den Diskussionen Farbe und weiten den Horizont. Das Thema „Public Theology“ ist in seiner Definition schwierig zu erfassen und bedeutet gemäss einem Teilnehmer für jeden etwas anderes, könnte aber umschrieben werden mit: „Theologische Begründung öffentlicher Handlungen aus christlicher Sicht“ oder „Theologische Begründung christlicher Präsens in der Öffentlichkeit“.
Aus dem Referat von Dr. Hetty Lalleman (Spurgeons College, London) zum AT wird klar, dass das Beispiel der alttestamentlichen Propheten keineswegs die einzige Begründung für das Engagement in der Gesellschaft ist. Im AT sind in diesem Zusammenhang vielmehr der ständige Verweis auf Gott als den Schöpfer der Welt und auf seine Königsherrschaft über Israel und auch über die ganze Welt ausreichende Grundlage, dass ein Rückzug in den religiösen Individualismus nicht zu rechtfertigen ist. Im Gegensatz zum Verhältnis und Verständnis der aktuellen Situation in vielen westeuropäischen, christlichen Gemeinden wird die zeitgenössische gesellschaftliche Situation im AT oft viel kritischer bewertet wie das Beispiel der Königskritik zeigt.
Der Neutestamentler Dr. Bruce Winter (Tyndale House, Cambridge) zeigt, dass nach dem Neuen Testament für die Jünger von Jesu Christus ein Rückzug aus dem Engagement in der politischen Öffentlichkeit keineswegs angezeigt ist. Er begründet mit dem Hinweis auf das historische Umfeld der Aussagen des NT, dass es sich z.B. beim „Lob der guten Tat“ von Röm. 13,3 [Denn die Regenten sind nicht ein Schrecken für das gute Werk, sondern für das böse. Willst du dich aber vor der staatlichen Macht nicht fürchten, so tue das Gute, und du wirst Lob von ihr haben] nicht um ein privates moralisch unauffälliges Verhalten handle. Vielmehr sei dabei der Einsatz für das Gemeinwohl im Blick. Es gehe beim Tun des Guten um eine Art von in der Öffentlichkeit wahr genommener Sponsortätigkeit für das Wohl der Bürgerschaft einer Stadt, nicht um private Anständigkeit. Bruce Winter weist auch darauf hin, dass im NT keineswegs nur eine einseitig „autoritätsgläubige“ Sicht des Staates vorherrscht. Ins Nachdenken über das Verhältnis der Christen zum Staat seien vielmehr neben Röm. 13 auch z.B. 1. Petr. 2 und Offb. 13 einzubeziehen. Es zeigt sich im NT eine Haltung gegenüber dem Gemeinwesen, die dem damaligen (und heutigen) Leben mit dem Ziel des eigenen Profits widerspricht (vgl. z.B. 1. Kor. 10,24).
In der Darstellung verschiedener Modelle des Verhältnisses von Kirche und Staat in der Geschichte und Gegenwart durch Dr. Andrew McGowan wird auf Vor- und Nachteile dieser Modelle hingewiesen. In der anschliessenden Replik durch Dr. Ian Randall und im sehr angeregten Plenumsgespräch wird deutlich, wie unterschiedliche (national-) kirchliche und denominationelle Erfahrungen die eigenen Positionen prägen. Gegensätze und Kritikpunkte werden klar formuliert, durch die positive Art des Gesprächs ist es möglich, die Begründung der öffentlichen Wirksamkeit in der eigenen Situation zu bedenken und einen besseren Blick auf die in den verschiedenen Ländern unterschiedlichen (geschichtlich gewachsenen) gesellschaftlichen Verhältnisse zu erhalten.
Im Vortrag von Dr. habil. Pavel Hosek (Evangelikales Theol. Seminar, Prag) wird mit dem Nachdenken über den religiösen Pluralismus ein für Europa aktueller Aspekt der Berührung des christlichen Lebens mit der Öffentlichkeit aufgegriffen. Exklusivistische und inklusivistische theologische Ansätze mit ihren Grundthesen zum Kontakt mit anderen Religionen werden miteinander verglichen und in Bezug auf ihre interne Stringenz und biblische Begründung gewertet. Es wird vorgeschlagen, keine pauschalen Thesen aufzustellen, sondern die betroffene Religion jeweils in ihrer Eigenheit zu begreifen und ihr kein soteriologisches Raster überzustülpen. Auf die Problematik der Übersetzbarkeit ähnlicher Begriffe in verschiedenen Religionen wird hingewiesen, da diese ihre wirkliche Bedeutung nur innerhalb ihres eigenen semantischen Feldes erhalten. In der Replik von Dr. Parush Parushev (Intern. Bapt. Theol. Seminar, Prag) wird die Frage des möglichen Dialoges bzw. Kontaktes sowohl auf dem Gebiet der gedanklichen Konzepte, des ehischen und sozialen Einsatzes als auch der religiösen Praxis diskutiert.
Dr. Anna Robbins (London School of Theology) stellt in ihrem Beitrag die unterschiedliche Art des Eingehens auf die Herausforderungen des christlichen Glaubens durch gesellschaftliche Entwicklungen dar. Aus der Analyse der Reaktion des ÖRK in den letzten Jahrzehnten auf die politischen und gesellschaftlichen Situationen lassen sich Perioden methodisch unterschiedlichen Vorgehens ableiten, deren Vor- und Nachteile bedacht werden. Die benützten Metaphern aus dem Bereich der Gesellschaftsanalyse sollen helfen, bewusster zwischen den Möglichkeiten eigener Reaktionen zu wählen.
Von den verschiedenen Seminaren konnte jeder Teilnehmer zwei besuchen. Der Berichterstatter besuchte u.a. das Seminar zum Thema „Menschenrechte“. Dr. David Hilborn (Evangelische Allianz, London) gab einen Überblick über die „Explosion der Rechtssprache“ seit dem Ende des zweiten Weltkrieges und die philosophischen Reaktionen auf diese Entwicklung. Die Konflikte einzelner Rechte miteinander scheinen in letzter Zeit vermehrt ins Bewusstsein zu kommen. Aus evangelikaler Sicht zeigt sich die Notwendigkeit, sich mit neu formulierten Gesetzen im europäischen Rahmen zu beschäftigen mindestens ebenso dringend wie der Einsatz für einen Hinweis auf Gott in der europäischen Konstitution.
Die Tagung ermöglichte viele persönliche Kontakte und einen intensiven Austausch zu den fachlichen Themen. Leider wurde das informelle Treffen der theologischen Disziplinen (nach Fachbereichen) erst am letzten Tag durchgeführt. Vielleicht hätte ein früheres Treffen in diesem Rahmen den gegenseitigen Austausch über die persönlichen Arbeitsprojekte noch besser möglich gemacht – oder kam es in der besuchten Gruppe deshalb zu einer so lebhaften Diskussion, weil einige gemeinsame Tage der Reflektion und des Gesprächs schon hinter uns lagen?
Glücklicherweise war das Treffen zur Erledigung von geschäftlichen Anliegen der Organisation der FEET nur eine Nebensache dieses Zusammentreffens. Zum Gelingen der Tagung haben sicher neben den Vorträgen und Diskussionen im Plenum, den Gruppen- und Einzelgesprächen auch Details wie Unterkunft und Verpflegung oder der professionell betreute Bücherverkauf von ausgewählter theologischer Fachliteratur beigetragen. Die nächste FEET-Konferenz ist für August 2006 geplant, als Tagungsort ist Prag vorgesehen.