Roland Hees
Mit vierundzwanzig Teilnehmern war das diesjährige Seminar der Facharbeitsgruppe Altes Testament (FAGAT) im AfeT gut besucht. Diese Treffen stellen ein wertvolles Austauschforum dar. Berichte von Forschungsprojekten und Dissertationen werden vorgestellt und diskutiert. Die Referate zeigten wieder durchweg eine hohe fachliche Qualität. Aber auch die geistliche Ausrichtung der Tagung, Theologie im Angesicht Gottes zu betreiben, wurde in Andachten zu Beginn des Tages und gemeinsamen Gebetseinheiten deutlich.
Das Einleitungsreferat von Dr. Stefan Felber (TS St. Chrischona/Basel, CH) stellte einen besonders herausfordernden Beitrag dar: Die Bibelübersetzungen „Hoffnung für alle“ und die Übersetzungstheorie von Eugene Nida. Die Hauptthese von Stefan Felber war, dass in den meisten neuen Bibelübersetzungen weltweit das Prinzip der dynamischen bzw. funktionalen Äquivalenz mit einem Verzicht auf Formtreue einhergeht. Der maßgebende Vertreter dieser Übersetzungsmethode ist Eugene Nida, langjähriger Übersetzungsleiter in den Kursen der Wycliff Bibelübersetzer. Bei sehr vielen Bibelübersetzungsprojekten findet diese Methode ihre Anwendung. Der wichtigste Punkt, worin sich dieses Prinzip gegenüber der formtreuen Übersetzung unterscheidet, ist: die Übersetzung soll die gleiche Wirkung hervorbringen wie bei den Lesern des Originals. Der Wert einer Übersetzung entscheidet sich nicht an der Wiedergabe der Originaltreue, sondern an der Leserwirkung. Es geht darum, den Empfänger möglichst in seiner Sprache den Inhalt der Bibel verstehen und spüren zu lassen. Dafür dürfen komplizierte Sätze in einfache verständliche Aussagen und Sätze umgewandelt und wiedergegeben werden. Auch theologisch ambivalente Begriffe und Sachverhalte der Ursprachewerden in der Übersetzung eindeutig gemacht. Schon bei der Rohübersetzung soll nach Nida das Hauptaugenmerk auf den zukünftigen Leser gerichtet werden. Beispiele aus der „Hoffnung für alle“ zeigten, wie mit dieser Orientierung jedoch auch theologische Inhalte reduziert werden. Anders als in wortgetreuen Übersetzungen wird so der Mensch anstelle Gottes zum handelnden Subjekt z.B. in Joh. 16,13. Als problematisches Beispiel für eine sinngetreue Übersetzung diente die ungenaue Wiedergabe der Wortereignisformel: „Da geschah das Wort zu NN“ mit „Da sprach Gott zu NN“, „der Herr forderte mich auf“, obwohl die gleiche Formulierung im Hebräischen steht. Mehrfach sind in neutestamentlichen Texten Bezüge zum alttestamentlichen Kultus oder die Rede vom Zorn Gottes reduziert.
Nach Felber öffnet das Übersetzungsprinzip von Nida das Feld für weitere willkürliche Eintragungen. Ein Übersetzer mit schlechter ursprachlicher Kompetenz und tendenziöser theologischer Ausrichtung kann sich für eine tendenzielle theologische Glättung immer mit der Wirkung beim Leser rechtfertigen. Es gibt für gute Übersetzungen keine objektiven Maßstäbe, da die Originaltreue nach Nida kein Kriterium darstellt. – Die anschließende Diskussion nannte auch Probleme mit der Lutherübersetzung und der Elberfelder Übersetzung, u.a. dass sie von vielen Schülern im Unterricht nicht mehr verstanden werden. Diesem Einwand begegnete Felber dadurch, dass trotzdem nicht auf die Lutherübersetzung (oder eine andere der Originaltreue verpflichtete Übersetzung) verzichtet werden kann, weil sie gerade durch ihre Sprachform eine katechetische Funktion hatte und sie das ganze Leben begleiten kann. Die Bibelworte von Luther sind zum Lernen weit einprägsamer als moderne Übersetzungen. Schwer verständliche Stellen können in der Gemeinde geklärt werden. Es müssen Verantwortliche in der Gemeinde da sein, die das leisten. Dies ist kein Problem der Übersetzung, sondern ist wohl schon bei der Erstfassung der biblischen Schriften der Fall gewesen.
Unter dem Thema Der Ehebruch in Spr.1–9 und in den Gesetzestexten des AT gab Tillmann Oliver Krüger einen Einblick in sein Dissertationsprojekt an der University of Gloustershire (Cheltenham, UK). Allgemein lässt sich feststellen, dass es relativ wenige eigenständige Arbeiten zur Sexualethik in der alttestamentlichen Forschung gibt. Die Themen wurden meist unter der Frage nach dem Zusammenhang von Weisheit und Gesetz behandelt. Dabei werden drei Hauptpositionen vertreten: a) Forscher, die einen Zusammenhang ablehnen und von einer getrennten Entwicklung ausgehen, b) Forscher, die von einem gemeinsamen Ursprung, aber von einer getrennten Entwicklung ausgehen, c) diejenigen, die Weisheit und Gesetz in einer bestimmten Weise miteinander verbunden sehen. Der Referent schließt sich der letzteren Gruppe an.
Danach ist das Sprüchebuch in seinem älteren und jüngeren Teil mit der Tora verbunden, besonders mit dem Dekalog. Er vergleicht die Pentateuchtexte über Ehebruch einerseits mit den Kapiteln 1–9 im Sprüchebuch, andererseits mit altorientalischen Gesetzestexten. Dabei zeigt sich, dass die biblischen Abschnitte zum Thema mit den entsprechenden Paragraphen altorientalischer Gesetze einer gemeinsamer Kultur zugehörig sind. Während bei letzteren der Gesetzgeber ein König war, ist dies im Alten Testament Gott selbst. Hier werden zudem wesentlich weniger Einzelfälle behandelt als in babylonischen oder assyrischen Gesetzescorpora. Beiden gemeinsam ist, dass die Handhabung der schriftlichen Gesetze wesentlich flexibler war als es in unserem vom römischen Rechtsverständnis geprägten Denken der Fall ist. Ein genanntes Strafmaß ist danach kaum als Soll-, sondern eher als Muster- oder Höchstmass verstanden worden.
Eine wesentliche Gemeinsamkeit von Gesetz und Weisheit bezogen auf die Ehebruchsthematik ist, dass es derselbe Gott ist, der das Gesetz gegeben und die Weisheit verliehen hat. Die theologischen Konzepte stimmen im Wesentlichen überein. Unterschiede im Sprachgebrauch sind gattungsspezifisch zu erwarten. Die Besonderheit der Formulierungen in den Sprüchekapiteln hängen mit dem didaktischen Ziel der Weisheitstexte zusammen. Sie wollen ja gerade, indem sie die Konsequenzen des Ehebruches plastisch ausmalen, an den „gesunden Menschenverstand“ appellieren und davor abschrecken. Eine wie auch immer geartete Kenntnis des AT-Gesetzes ist deshalb bei den Weisen vorauszusetzen, und damit ein intensiver Zusammenhang.
Der literarische Aufbau des Predigerbuchs hieß das dritte Referat von Dr. Julius Steinberg (Gießen), der damit ein Kapitel aus seiner Dissertation Die Ketuvim: Ihr Aufbau und ihre Botschaft referierte, mit der er im September 2004 an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Leuven summa cum laude promoviert wurde (bei Prof. Dr. H.J. Koorevaar). Der Referent setzte voraus, dass es bei jeder Art von Literatur einen öffentlichen Code gibt, der in einem übergeordneten Sinn literarische Ausdrucksmöglichkeiten festlegt. Wenn eine Struktur wieder erkannt werden soll, dann muss sie hermeneutisch signifikant sein. Die angenommene Struktur soll den Text besser und einfacher erklären als mögliche Alternativen. Auf dieser Grundlage stellte Steinberg für das Predigerbuch drei Hauptteile fest: I. Kap 1,3–3,9; II. Kap 3,10–8,17 und III. Kap.9,1–12,7 . Jeder dieser Hauptteile besteht aus einer Ringstruktur, die jeweils am Anfang, Ende und in der Mitte die zentralen Gedanken zu erkennen gibt.
Die anschließende Diskussion kreiste darum, wie eine signifikante Struktur deutlich werden kann. Einerseits erscheinen zu komplizierte Makrostrukturen und Stilmittel als wenig einsichtig, da sie dem damaligen Leser kaum ins Bewusstsein treten konnten. Andererseits sind in oralen Kulturen natürlich übergeordnete mnemotechnisch begründete Makrostrukturen in Texten wahrscheinlich, die uns literarisch geprägten Menschen nicht mehr unmittelbar zugänglich sind. Daher geht man kaum fehl, im AT mit mehr Strukturbewusstsein zu rechnen als sie für ein einmaliges Hören oder Lesen erkennbar waren. Parallelismen, Chiasmen und Reihungen spielen dabei eine wichtige Rolle.
Carsten Vang, Dozent Gemeindefakultät in Âarhus / Dänemark, stellte sich mit dem Referat Ur-Deuteronomium – Some Reflections on its Content, Size and Age in Widerspruch zu dem sog. „Konsens kritischer Forschung“. Nach der herkömmlichen immer noch von Wellhausen geprägte Theorie ist das Deuteronium seit dem Auffinden in der Zeit der Reform Josias gewachsen, für Carsten Vang ein weniger überzeugendes Modell für die Entstehung des Buches. Er machte deutlich, dass man die Spuren der Redaktionen in der vorliegenden Form des Deuteronomiums in Kap.1–30 nicht finden kann. Der Wechsel zwischen Singular und Plural in der Anrede wurde oft dazu angeführt, aber es überzeugt nicht, da dieses Phänomen auch in nicht-deuteronomischen Texten im AT sowie in außerbiblischen Vertragstexten vorkommt. Wiederholungen im Text können ebenso wenig zur Schichtenanalyse herangezogen werden, weil sie der antiken Form zu predigen entsprechen. Außerdem ist es auch nicht möglich, die von der Forschung angenommenen Schichten in exilische oder nachexilische Schichten zuzuordnen.
Nach Vang bildet Dtn 1–28 eine stilistische und rhetorische Einheit. Eine Quellenscheidung, wie sie Noth vornimmt, besonders zwischen Kap.1–3, 5–11 und 12–28 ist unnötig. Alle Kapitel gehören zusammen, der Unglaube der vorherigen Generation und die dem Durchzug folgenden Siege haben die Funktion, das Volk zu einem ernsthaften Bundesversprechen gegenüber Gott zu bewegen. Sie sollen in Gottes Macht vertrauen, dass er sie in das verheißene Land bringt. Auch der in Kap 5–11 erkennbare Stil, das Vokabular und der theologische Duktus finden sich an verschiedenen Stellen im Gesetzescorpus Kap 12–26 ähnlich. Das Verhältnis zu den Nachbarvölkern Edom, Moab und Ammon ist im Dtn wohlwollend, dies steht im Gegensatz zur Exilszeit oder den Haltungen, wie sie in den Büchern Samuel und Könige gefunden werden. Auch wenn ein Exil als Folge des Abfalls im Deuteronomium wie bei den Propheten angekündigt wird, so gibt es doch Unterschiede. Im Deuteronomium ereilt das Volk die Strafe Gottes sofort, wenn es abgefallen ist. Dies steht im Unterschied zu den prophetischen Reden in der sog. deuteronomistischen Geschichtsschreibung, die betont, dass Gott es mit der Strafe nicht eilig hat, sondern viel Geduld aufbringt, bis er sie ausführt. Auch die technischen Begriffe „in die Verbannung führen“ werden vom Deuteronomium gemieden.
Dagegen stellt das Referat fest, dass sich hinter der offenkundigen Struktur der drei Reden des Moses ein Aufbau verbirgt, der Bezüge zu altnahöstlichen Vasallenverträgen aufweist: Präambel, historischer Prolog, Haupt- und Nebenvereinbarungen und jeweils ein Abschnitt von Flüchen und Segen, Zeugenanrufung, Vereinbarungen zur Deponierung und Aktualisierung usw. Dabei ergibt sich nach Vang eine größere Übereinkunft mit Vertragstexten des 2. Jahrtausend vor Chr. als mit denen unter spätassyrischem Einfluss, wie oft angenommen wurde.
Stefan Kürle, Marburg, schloss mit seinem Referat Die Charakterisierung Moses und Israels in Exodus und ihr Einfluss auf die Leserlenkung das diesjährige Treffen ab. Er gab damit einen Einblick in sein Dissertationsprojekt an der University of Gloucestershire, Cheltenham, UK. Er geht aus von der Annahme, dass bei Texten ein Zusammenhang von Form und Inhalt anzunehmen ist. Der Leser des Buches Exodus wird durch die Geschichte, so wie sie sich darbietet, in eine bestimmte Haltung gegenüber den Hauptcharakteren (Moses, Jahwe, Pharao und das Volk) geführt. Kürle beobachtet eine pessimistische Grundhaltung gegenüber Moses in den ersten Kapiteln des Buches. Die Geburtsgeschichte von dem ausgesetzten Baby spricht nicht von einem kommenden Volkshirten. Zum Schmunzeln ist, dass sich darin vier Frauen den Anordnungen des ägyptischen Herrschers widersetzen. Moses bekommt keinen richtigen Namen. Im Munde der Ägypterin heißt er einfach „Sohn“ oder „Kind“. Nach dem „prachtvollen“ Anfang am Königshof geht es mit ihm bergab. Er disqualifiziert sich als Führer Israels, als er anmaßend für seine unterdrückten Landsleute zum Mörder wird. Als Flüchtling gibt er sch in der Wüste als Ägypter aus und heiratet in eine heidnische Priesterfamilie. Es entsteht ein eher negatives Mosesbild, das ihn als ungeeignet für die Führung des Jahwe-Volkes charakterisiert. Alle Initiative zur Rettung geht von Jahwe aus, die Gestalt des Mose ist weder geeignet noch fähig zur Führung des Volkes. Der Leser begreift, dass Jahwe der Protagonist ist. Bei der Begegnung mit Pharao ist Mose nicht Akteur, sondern Mittler gegenüber Jahwe und seinem Volk und Pharao. Ab Kap 6 mit dem nachgetragenen Stammbaum beginnt ein verändertes Mosebild. Er wird nun zum „Gott Pharaos“ , Aaron „sein Prophet“. Später trägt Mose den Glanz Gottes auf seinem Antlitz, er rückt ganz in die Nähe Gottes, wird nahezu Gott-gleich. Für Kürle macht die Dekonstruktion des Mose am Anfang rhetorisch Sinn, wenn der implizierte Autor ein hohes Mosebild bei dem implizierten Leser voraussetzt. – In der anschließenden Diskussion wurde auch das Gegenteil angesprochen. Parallelen zu anderen biblischen Gestalten wurden genannt, bei denen eine hohe Darstellung eine Dekonstruktion erfährt (David, Noah, Salomo, Jeremia), die dann in der Regel theologisch interpretiert auf den Vorrang Jahwes vor der Leistung der Personen hinweist.
Die Referate mit ihrem hohen Niveau in unkomplizierter Atmosphäre wurden ergänzt durch weitere Gesprächsrunden zur Darstellung einer Theologie des Alten Testaments und zu neuerer Literatur. Einen kulinarischen (Fingerfood) und festlichen Höhepunkt gab es am Montagabend, bei dem die gelungene Promotion von Dr. Julius Steinberg gefeiert werden konnte – etwas, was sich nach übereinstimmender Ansicht im Rahmen künftiger FAGAT-Treffen gerne bei neuen Anlässen ähnlicher Art fortsetzen lässt.