Armin D. Baum
1994 führte die neutestamentliche Facharbeitsgruppe ihr erstes Treffen durch, das von acht Teilnehmern besucht wurde. Nach über zehn Jahren hatten sich für das diesjährige Treffen am 14. und 15. März 2005 im Taborseminar (Marburg) fast 40 Teilnehmer angemeldet. Erstmals war auch eine ganze Reihe von Neutestamentlern aus Belgien und Holland dabei.
Das erste Referat hielt Prof. Dr. Peter Wick, Mitwirkender in der schweizerischen Schwesterorganisation des AfeT, der Arbeitsgemeinschaft für biblisch erneuerte Theologie (AfbeT), und seit zwei Jahren Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments an der Ruhr-Universität in Bochum. Er befasste sich mit der „theologischen Antwort des Hebräerbriefes und der Offenbarung auf die Zerstörung des Jerusalemer Tempels“. Wick interpretierte die neutestamentlichen Kulttheologien als Antwort auf das Trauma der Tempelzerstörung.
Im zweiten Referat sprach Prof. Dr. Gie Vleugels von der Evangelisch Theologischen Fakultät (ETF) in Leuven (Belgien) über „The Challenge of Dechristianising Jesus“. Er setzte sich kritisch mit einer von W. Bauer entwickelten und heute beispielsweise von B. Ehrman vertretenen These auseinander: Die zahlreichen alternativen Jesusvorstellungen, die es in der Zeit der frühen Kirche gab, eine marcionitische, eine doketische, eine gnostische, eine arianische usw., seien ebenso ursprünglich und legitim gewesen wie das orthodoxe Jesusbild, das sich langfristig durchsetzte.
Prof. Dr. Christoph Stenschke, Leiter des M.Th.-Programms in Wiedenest und neuerdings Außerordentlicher Professor am NT Department der Universität von Südafrika (UNISA, Pretoria), behandelte „Das Neue Testament als Dokumentensammlung urchristlicher Mission“. Er fragte, mit welcher spezifischen Perspektive Missionare und Missiologen wie J. Warneck oder J. Richter etwa die paulinischen Briefen lesen, und plädierte für einen intensiveren Dialog zwischen Neutestamentlern und Missiologen.
Den Dienstag eröffnete als nichtevangelikaler Gastredner Prof. Dr. Friedrich Avemarie von der Universität Marburg mit einem Referat über „Die Wiederkehr der Werke“ in der neueren Paulusforschung. Er hatte sich dankenswerterweise bereitgefunden, einen Wunsch der Facharbeitsgruppe aufgreifend die Monographien von K.L. Yinger (1999) und S.J. Gathercole (2002) kritisch zu würdigen, die sich ihrerseits mit der Paulusdeutung des britischen Evangelikalen J.D.G. Dunn befassen. Die New Perspective on Paul, so Avemarie im Fazit seiner differenzierten Analyse, sei schwerer zu widerlegen als gedacht.
Den Abschlussvortrag hielt Prof. Dr. Darrell Bock, Research Professor am Dallas Theological Seminary, der sich zur Zeit der Tagung als „Humboldt Scholar“ in Tübingen aufhielt, über „Orthodoxy in the First Two Centuries of Christianity“. W. Bauer hatte bestritten, dass die kirchliche Orthodoxie älter ist als die christlichen Häresien. Die frühkatholischen Gewinner des Glaubenskampfes hätten dies erst im Nachhinein so dargestellt. Theologen wie H. Köster und B. Ehrman pflichten ihm darin bis heute bei. Bock zeigte anhand eines Schnelldurchgangs durch eine Fülle relevanter Texte, dass Bauer zwar durchaus methodische Fortschritte im Umgang mit den Quellen erzielt hatte, seine inhaltliche Hauptthese dem Quellenbefund aber in keiner Weise gerecht geworden ist.
Das nächste Treffen der neutestamentlichen Facharbeitsgruppe wird am 13. und 14. März 2006 stattfinden, wie in den vergangen zwei Jahren wieder in den hervorragend ausgestatteten Räumen des Marburger „Theologischen Seminars Tabor“. Aufgrund der gestiegenen Teilnehmerzahlen wird es im kommenden Jahr wahrscheinlich erstmals auch parallele Seminargruppen geben, in denen intensiver diskutiert werden kann. Als Gastredner hat für 2006 Prof. Dr. Klaus Berger von der Universität Heidelberg zugesagt. Ein detailliertes Programm wird rechtzeitig auch auf der Internetseite des AfeT unter www.afet.de zugänglich sein.