Jüngstes Gericht, Einheit und Pluralismus, Mann und Frau

Frühjahrstagung der Facharbeitsgruppe Systematische Theologie

Christian Herrmann

Am 11. und 12. Februar 2005 traf sich die Facharbeitsgruppe Systematische Theologie im Theologischen Seminar Tabor in Marburg zu ihrer Frühjahrstagung. Zu den elf festen Teilnehmern stießen punktuell noch Seminaristen hinzu. Über die Aussprache nach den Vorträgen hinaus konnten wichtige Informationen ausgetauscht und eine geistliche Gemeinschaft gelebt werden. Besonders aufschlussreich war die räumliche und geschichtliche Einführung in das Theologische Seminar Tabor und den DGD durch Dr. Frank Lüdke.

Jüngstes Gericht

Prof. em. Dr. Friedrich Beißer, Universität Mainz, führte aus, dass das Gericht Gottes zwar mittlerweile ein Tabuthema sei, man sich aber danach sehnen dürfe. Alle eschatologischen Erwartungen Jesu seien eingetroffen. Gericht und Neuschöpfung sind demnach in Tod und Auferstehung Christi geschehen. Allerdings steht deren evidente und allgemeine Durchsetzung noch aus. Sinn und Zweck des Gerichts ist das Ausschalten der Sünde, was mit Schmerzen verbunden ist, weil die Sünde in uns steckt. Wegen der Allmacht Gottes ist nach Beißer nichts vom Gericht auszunehmen, auch die Tiere nicht. Jede Sünde bedeutet einen Angriff auf Gott und muss von Gott aufgearbeitet werden; den Opfern kommt die Vergeltung des Unrechts entgegen. Da die Taten auf die Person zurückfallen, wird ein Urteil über die Person gefällt, nicht nur über die Werke. Die ntl. Aussagen über das Gericht stehen in einem paränetischen Zusammenhang: sie dienen als Korrektiv, als Warnung für die Christen vor Übermut. Röm. 7 ist nach Beißer gegen die exegetisce Mehrheitsmeinung auf die Christen zu beziehen. Allerdings ist in Luthers „simul iustus et peccator“ die Reihenfolge und Akzentuierung der Begriffe wichtig: zuerst gerecht und dennoch auch noch Sünder und damit dem Gericht verfallen! Gegen O. Hofius u. a. Tübinger Exegeten ist nur von der Gerichtserwartung Jesu her die Deutung seines Todes als Sühneereignis verständlich; für Herleitungen aus anderen Traditionen fehlt die Motivation.

v. r.: Dr. Horst Afflerbach (Wiedenest), Dr. habil. Eberhard Hahn (Tübingen), Pfr. Berthold Schwarz (Gießen)

Allversöhnung

In Fortführung des ersten Vortrags referierte Dr. Rolf Hille, ABH Tübingen, über die Theorie der „apokatastasis panton“. Neben den völlig eindeutigen biblischen Aussagen zum doppelten Ausgang des Gerichts (z. B. Dan. 12,2; Lk. 16,26; Mk. 9,47f.; Mt. 25,41; 2. Thess. 1,7–9; Offb. 21,8) stehen Andeutungen zur Universalität der Heilsabsicht Gottes (1. Tim. 2,4), der Erlösung (Joh. 3,16; Röm. 11,32 u.a.), der Anerkennung Christi (Phil. 2,9–11; Offb. 5,13), der Einheit in Gott als Ziel (1. Kor. 15,21–28; Kol. 1,18–20; Apg. 3,21 u.a.). Die Behauptung einer Erlösung aller Menschen unabhängig von der Art ihrer Gottesbeziehung im irdischen Leben wurde in der Theologiegeschichte unterschiedlich begründet. Bei Clemens Alexandrinus wird die Strafe nur als Erziehungsmittel anerkannt. Origenes spricht ähnlich wie später Tillich dem Bösen ein eigenständiges Sein ab; dieses kann am Ende keinen Bestand haben. In einer dualistischen Ontologie ist der geistige Bereich als solcher (Geistigkeit als eigentliches Wesen des Menschen!) immer schon vom Transzendenten angenommen. Im schwäbischen Pietismus (z.B. J. M. Hahn) kann aus einem optimistischen Menschenbild und einer prozesshaften Soteriologie die Wiederbringung aller Dinge gefolgert werden. In Aufklärung und Neuprotestantismus stößt man sich an einer vermeintlich nicht vermittelbaren Vorstellung eines richtenden Gottes. In der ökumenischen Bewegung wird der Ansatz eines anonymen und daher universalen Christentums vertreten.

Diesen Argumenten steht die individuelle Verantwortlichkeit des Menschen und die Sehnsucht nach Gerechtigkeit entgegen. Die Liebe und Heiligkeit Gottes sind nicht gegenseitig verrechenbar; man stößt hier an Grenzen der Sprachlogik. Die Folgen einer ausgeformten Lehre der Allversöhnung für die ethische und missionarische Motivation der Menschen widersprechen den biblischen Aussagen und Anliegen. Ein Grundproblem besteht darin, dass die seelsorgerliche Ebene (vage Hoffnung) und die systematische Wahrheitsfrage oft vermischt werden. Zudem fügt sich die Allversöhnungslehre in das Anspruchsdenken des modernen Menschen ein, der sich für eigentlich gut hält bzw. für fähig, das Paradies auf Erden zu schaffen. Der Missionsauftrag (z. B. Mt. 28,16–20) hat eine andere Sprachgestalt als die doxologischen universalistischen Aussagen (z. B. Eph. 1,9f.; Röm. 11,32). Die Erkenntnis hat ihre Grenzen wegen des „totaliter aliter“ des Eschaton.

Einheit der Kirche in der Wahrheit

PD Dr. Eberhard Hahn, ABH Tübingen, fragte nach der Begründung der kirchlichen Einheit angesichts des kirchlichen und gesellschaftlichen Pluralismus. Die Reformatoren hätten konfessionalistische Engführungen vermieden, sondern sich zur „Katholizität der Kirche unter Aufweis der Apostolizität ihrer Verkündigung“ bekannt. Allerdings ging es ihnen wie schon der altkirchlichen Definition des Dogmas als „horos pisteos“ um die Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Kirche. Die Einheit soll sich auf die Wahrheit gründen, nicht die Wahrheit auf die Einheit. Das zu verkennen ist der Fehler der liberalen Konvergenzverfahren, aber auch des prozesshaften Traditionsmodells des katholischen Lehramtes. Bei der Einmütigkeit der Christen geht es dabei nicht nur um Lehre, sondern um ein pneumatisches, letztlich gottesdienstliches Geschehen. In der kirchlichen Lehre geschieht nicht eine Produktion, sondern ein Rückbezug; die Progression ist Regression auf Christus hin (K. Beyschlag).

Dr. habil. Eberhard Hahn (links) zu „Einheit der Kirche in der Wahrheit“

Zwar ist das NT vielstimmig, aber doch kommt es zu einer Symphonie der Stimme des guten Hirten (Joh. 10; gegen E. Käsemann). Eine Zusammenschau von vorgegebenem Fundament und Beurteilungskriterium einerseits und aufgegebenem kommunikativ gestalterischen Geschehen andererseits findet sich in 1. Kor. 3,11f. Ein Beitrag zur Einheit könnte die Haltung der Demut und Buße (selbstkritische Prüfung der Schriftgemäßheit eigenen Denkens) sein.

Hauptsein des Mannes, Hilfesein der Frau

Pastor Dr. Joachim Cochlovius, Gemeindehilfsbund, Walsrode, vertrat in einem Vortrag über die biblischen Bezüge des Geschlechterverhältnisses die Vorstellung einer dynamischen, nicht statischen Dreiecksbeziehung von Gott, Mann und Frau. Als Ebenbilder Gottes sollten wir die kommunikative Wesenseigenart Gottes vertreten in der Wechselseitigkeit der Beziehung. Diese frage nach den Grundbedürfnissen des Gegenübers (Mann: Anerkennung, Ruhe, gutes Essen; Frau: Zärtlichkeit, Ritterlichkeit, Geborgenheit). Das Herr- oder Hauptsein des Mannes soll demnach die Liebe, Fürsorge, schützende Kraft Gottes vertreten, die Herrlichkeit Gottes abbilden. Das „Sehr gut“ der Schöpfung steht den üblichen gegenseitigen Vorurteilen entgegen. In einer Typologie lassen sich tendenzielle geschlechtsspezifische Eigenarten entfalten: z. B. bei Männern (M.) stärker intellektuell-prospektiver, bei Frauen (F.) eher intuitiv-praxisbezogener Wirklichkeitszugriff; bei M. prinzipien-, bei F. situationsorientiertes Vorgehen; bei M. Ergänzungsbeürftigkeit, bei F. seelische Stabilität; bei M. Ideen-, bei F. Personenbezug entscheidend; bei M. produktive, bei F. reproduktive Stärke, bei M. Schwäche im Verliebtsein in sich selbst, bei F. im Dominanzstreben.

Das Strafwort in Gen. 3,16 lenkt das Begehren der F. weg von der Frucht hin zum M.. Dem M. wird zwar Verantwortung, nicht aber ein Freibrief zur Unterdrückung übertragen; der Kopf stellt sich nicht über den Leib, sondern umsorgt und schützt diesen. Das Hilfesein der F. bildet das Hilfesein Gottes ab. M. und F. sind gleichrangig, haben aber unterschiedliche Beauftragungen und Befähigungen. Die Ersterschaffung Adams ist kein chronologischer Vorzug, meint aber eine Besonderheit der Einsetzung. Die Erkenntnisse zum Geschlechterverhältnis haben Konsequenzen auch in der eher kritischen Beurteilung der Frauenordination (wobei nach frauenspezifischen kirchlichen Funktionen gesucht werden muss).

 
aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen – ETM 11/1 (2005)
Herausgeber: AfeT – Arbeitskreis für evangelikale Theologie
08.12.2005 – http://www.afet.de