Eschatologie und Befreiung – Melchisedek im Hebräerbrief

Das Doktoranden- und Habilitandenkolloquium

Claus Schwambach, Klaus Bensel, Uwe Rechberger

„Eschatologie in der Befreiungstheologie, dargestellt am Beispiel Leonardo Boffs“ und „Die Melchisedek-Typologie im Hebräerbrief“ – so lauteten die Themen, zu denen sich 16 Teilnehmer unter der theologischen Leitung von Prof. Dr. Rainer Riesner zum diesjährigen AfeT-Doktoranden- und Habilitandenkolloquium am 24. und 25. März 2000 im Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen einfanden.

Eschatologie und Befreiung

Am Freitag Nachmittag referierte der Brasilianer Claus Schwambach über sein Dissertationsprojekt: „Zwischen Rechtfertigungsgeschehen und Befreiungsprozess. Eschatologie bei M. Luther und in der Befreiungstheologie L. Boffs und J. B. Libânios im kritischen Gespräch. Überlegungen zur ökumenischen Verantwortung christlicher Hoffnung.“ Seine Arbeit stellt den Versuch eines Gespräches zwischen Reformation und römisch-katholischer Befreiungstheologie dar über die Kontextualität theologischer Aussagen, wie auch über die konkrete Frage nach der Art und Weise der Verkündigung christlicher Hoffnung heute. Schwerpunkt des Referats war eine einführende Darstellung der Eschatologie Leonardo Boffs. 1) In einem ersten Moment ging es um die Wurzeln der Theologie Boffs. a) Die neuere römisch-katholische und ökumenische Theologie. b) Die lateinamerikanische Rezeption des Konzils in den Bischofskonferenzen von Medellín (1968) und Puebla (1979), in denen die lateinamerikanische Kirche eine Option für die Armen gegen die strukturelle Armut getroffen hat. c) Das Gespräch mit den modernen Wissenschaften und mit der Philosophie. 2) In einem zweiten Moment ging es um inhaltliche Aspekte von Boffs Eschatologie: a) Eschatologie ist grundsätzlich von der Apokalyptik zu unterscheiden. Weil die apokalyptische Sprache zeitbedingt ist, brauchen apokalyptische Stellen nicht wörtlich verstanden werden, sondern müssen auf ihren für alle Zeiten gültigen Kern hin befragt werden und erneut in die heutige Sprache übersetzt werden. b) Eschatologie ist - so auch Rahner - keine antizipierende Reportage zukünftiger Ereignisse, sondern die Übertragung dessen, was wir bereits in dieser Welt im Modus der Unvollkommenheit erleben, in den Modus der Vollkommenheit. c) Reich Gottes ist bei Boff eine Chiffre für das transzendental verstandene Heil selbst, wie auch seiner geschichtlichen Vermittlungen. Reich Gottes ist das strukturelle gute Ende der Schöpfung, dass Gott von Ewigkeit her beschlossen hat. Das Reich hat wesentlich eine Gabe-Aufgabe-Struktur: Von der ontologischen Konstitution her sind alle wesentlich bereits oder schon immer im Bereich des Heils (= objektive Gabe Gottes); dieses Heil wird aber nur dann wirklich, wenn der Mensch aufgrund einer freien Entscheidung es auch bewusst lebt, d.h. in acto verwirklicht (= subjektive Aufgabe des Menschen). Es gehört zur Würde des Menschen, dass er auch in Heilsfragen frei ist. d) Der Tod wird wesentlich als natürliches Ereignis angesehen und sollte möglichst als Struktur des Lebens im Leben integriert werden. Nicht der Tod, lediglich die konkrete angstvolle Form, in der er erfahren wird, ist eine Folge der Sünde. e) Boff gehört zu denen, die eine Auferstehung im Tode vertreten. f) Boff vertritt die These einer Endentscheidung des Menschen im Tode, in der der Mensch noch einmal dem kosmischen Christus begegnet und, frei von allen irdischen Begrenzungen, sich endgültig für oder gegen Gott entscheiden kann. g) Himmel und Hölle werden in personalistischen Kategorien verstanden, als ewige Selbstverwirklichung bzw. Frustration der Existenz. Keine jenseitige Seelentopographie bei Boff. h) Die Hölle ist nicht die letzte Etappe im jenseitigen Drama der Verdammten. Aufgrund des Schreiens der Verdammten nach Erbarmen, wie auch der Fürbitte der Armen und Marias für sie, erbarmt sich Gott am Ende aller. i) Das Ende wird von Boff im Anschluss an Teilhard de Chardin i.S. eines Punktes Omega auf dem Hintergrund der heutigen evolutiven Weltsicht verstanden.

Das Doktoranden- und Habilitandenkolloquium
Das Doktoranden- und Habilitandenkolloquium

Melchisedek im Hebräerbrief

Das zweite Referat befasste sich mit der Melchisedek-Typologie im Hebräerbrief. Klaus Bensel aus Bremen, der sich auf ein Doktorat an der Evangelisch Theologischen Fakultät Leuven vorbereitet, sprach über mögliche Hintergründe der Argumentation des auctor ad Hebraeos für die Superiorität Christi über das alttestamentlich-levitische Priestertum mit Hilfe der enigmatischen und in der Genesis nur äußerst knapp beschriebenen Melchisedek-Gestalt (Gen 14,18-20; Ps 110,4). Ein Überblick über die Auslegungsgeschichte zeigte auf, wie sich Hebr 7,3 als crux interpretum erwies, wobei Melchisedeks Würdeprädikate einerseits zu diversen von den Kirchenvätern verurteilten melchisedekianischen Spekulationen einluden, andererseits zur traditionellen Erklärung einer aus dem „Schweigen der Schrift“ begründeten Typologie führte. Die Entdeckungen von Melchisedek-Traditionen bei Philo von Alexandrien, den Schriften des rabbinischen Judentums, der Apokalyptik, Qumrans, in samaritanischen Zeugnissen und gnostischen Quellen haben neues Licht auf diese Fragestellung geworfen. Besonders die in der 11. Höhle von Qumran entdeckten Fragmente eines Melchisedek-Midrasch (11QMelch) zeigen bei aller Unterschiedlichkeit zum Hebräerbrief wie lebendig Melchisedek-Traditionen im 1. Jahrhundert nach Christus waren. Klaus Bensel vertrat die Auffassung, dass zeitgenössische Melchisedek-Überlieferungen zunächst einen Anknüpfungspunkt für die Aussagen über Melchisedeks ewiges Priestertum (Hebr 7,3+8) darstellten, während im Folgenden der messianisch verstandene Psalm 110 ganz entscheidend als Basistext für die Argumentation fungiert, nach der Melchisedek als Typus für Christi ewiggültiges und deshalb vollmächtiges Priestertum dient.

Ab dem kommenden Jahr 2001 haben wir vor, das Programm unseres Kolloquiums etwas auszubauen und ein weiteres Referat hinzuzunehmen. Doch selbstverständlich soll neben der Vielfalt wissenschaftlich theologischer Arbeit auch die Gemeinschaft und nicht zuletzt die geistliche weiterhin einen breiten Raum bekommen. In diesem Sinn danken wir im Blick auf den Freitagabend des vergangenen Kolloquiums besonders auch Familie Riesner für ihre Gastfreundschaft. (...) Zum Schluss danken wir Joachim Kummer, der bis zum vergangenen Herbst die organisatorische Leitung des Kolloquiums wahrgenommen hat. Aufgrund seiner vielfältigen Aufgaben und insbesondere dem Beginn seines Vikariates in Langenburg ist ihm dies nicht weiter möglich. Wir wünschen Joachim Kummer und seiner Familie Gottes Segen, besonders für sein Vikariat und die Dissertation.

aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen - ETM 6/1 (2000)
Herausgeber: AfeT - Arbeitskreis für evangelikale Theologie

19.12.2007
weitere ETM-Beiträge
das Doktoranden- und Habilitandenkolloquium
AfeT-Startseite