Manfred Baumert
Mit der Indienmission des Apostels Thomas (Dr. Eckhard Schnabel) sowie der lukanischen und chronistischen Quellenbenutzung im Vergleich als eine Teilanalogie zum synoptischen Problem (Dr. Armin D. Baum) beschäftige sich das Treffen der Facharbeitsgruppe NT unmittelbar vor der Theologischen Studienkonferenz des AfeT in Bad Blankenburg. Außerdem eröffnete Volker Gäckle uns einen Ausschnitt seiner in Arbeit befindlichen Dissertation über die Herkunft und Funktion der paulinischen Antithesen der Starken und Schwachen in 1. Kor 8,111,1 und Röm 14,115,13. Dr. Bernd Brandl aus der Facharbeitsgruppe Mission, der an unserem Treffen teilnahm, veranlasste uns, die behandelnden Themen in den Missionsalltag hinein zu verlängern. Dieser interdisziplinäre Brückenschlag war anregend und könnte zwischen den einzelnen Facharbeitsgruppen in Zukunft vermehrt genutzt werden.
Einleitend wies E. Schnabel darauf hin, dass Lukas zu vielen interessanten Themen in der Apg schweigt. In den außerbiblischen Schriften findet sich dagegen die Überlieferung, dass zwölf Jahre nach der Kreuzigung die damalige Welt zur Missionierung unter den zwölf Aposteln aufgeteilt wurde. E. Schnabel überprüfte in seinem Referat, inwieweit die in den apokryphen Thomasakten überlieferte Indienreise des Apostels Thomas an den Hof von Gondophernes in Nordindien und die Tradition seiner Missionstätigkeit in Südindien auf historischen Fakten ruht. In aller Kürze sollen einige Gründe aufgezählt werden, die für E. Schnabel eine Missionstätigkeit des Apostels Thomas in Indien glaubhaft erscheinen lassen.
1. Schon um 2800 v. Chr. fuhren mesopotamische Seefahrer vom Persischen Golf nach Indien. Eine enorme Ausweitung der geographischen Kenntnisse der Griechen über Indien brachte der Zug Alexander des Großen. Seine königliche Kanzlei konnte in amtlichen Aufzeichnungen jeglichem wissenschaftlichen Interesse eine solide Grundlage bieten. Der wechselseitige Handel mit Indien florierte, selbst Elefanten und deren Lenker wurden nach Syrien importiert (1 Makk 6,30). Darüber hinaus gründete Alexander bei seinen Eroberungszügen auch mehrere Städte im Osten.
2. Seit der Seefahrt des Eudoxus Cyzicus im Jahr 116 v. Chr. wussten die Griechen, dass sie die Monsunwinde ausnutzen konnten. Unter Augustus erlebte die Seefahrt nach Indien einen rasanten Aufschwung, so dass jährlich bis zu 120 Schiffe nach Indien fuhren. Aus dieser Zeit stammen Funde römischer Keramik und Münzen, die in Indien gefunden wurden. Weitere archäologische Funde und epigraphische und literarische indische Texte belegen, dass Griechen bzw. Römer in Kolonien in Indien wohnten.
3. Die zahlreich skurrilen Wundergeschichten in den apokryphen Thomasakten haben es den Forschern bisher schwer gemacht, die Erzählung von einer Indienreise des Apostels Thomas als historisch zu akzeptieren. Besonders wichtig ist die Erwähnung des indo-parthischen Herrschers Gondophernes (2046 n. Chr) in Nordindien in dessen Umfeld Thomas missionierte. Diese Notizen weisen eindeutig auf einen indischen Kontext. Doch erst als Archäologen im 19. Jh. Münzen entdeckten, die seinen Namen tragen, wurde Gondophernes als historische Gestalt akzeptiert. Heute zählt Gondophernes zu den bestdatierten Herrschern Mittelasiens aus dieser Zeit. Schnabel konnte glaubhaft nachweisen, dass Thomas nach dem Tod von Gondophernes (um 55 n. Chr) seine Missionstätigkeit vom nördlichen Indien in den Süden verlagerte.
4. Auch die in den Thomasakten berichtete Weigerung des Apostels in das zugewiesene Missionsgebiet zu reisen, spricht nach Meinung von E. Schnabel eher für einen historischen Bericht als eine Erfindung.
Dieser zeitgeschichtliche Horizont und die breite Bezeugung bei den Kirchenvätern lässt es für E. Schnabel plausibel erscheinen, dass ein griechisch sprechender Missionar wie Thomas durchaus nach Indien gelangen konnte. Die schriftlichen Quellen der syrischen Kirche und die mündliche Tradition der indischen Thomaschristen, die von einer Indienmission des Apostels Thomas sprechen, sind darum als zuverlässig anzusehen.
Unter diesem Stichwort hielt uns Armin D. Baum ein Referat, indem er die Quellenverarbeitung des atl. Chronisten mit der des Lukas verglich. A. Baum suchte sich zwei Vergleichstexte, die ungefähr den gleichen Wortbestand von 2000 Wörtern aufwiesen. Während der Königsstoff beim Chronisten (1. Kön 710 par 2. Chr 49) mit rund 1600 formidentischen Worten übernommen wurde, was ca. 80 % entspricht, erbrachte der Markusstoff bei Lukas ( Mk 12,112 par Lk 20,919) eine formidentische Übereinstimmung von 900 Worten, was rund 44% gleich kommt.
Auf der Grundlage dieses Ergebnisses könne nach A. D. Baum Lukas wohl kaum das Markusevangelium als schriftliche Vorlage benutzt haben. Als Lösung des synoptischen Problems tendierte Baum zusammen mit den eifrig Mitdiskutierenden eher dahin, dass Lukas schriftliche Nebenquellen des Markus verarbeitete und Texte von Markus aus einer festgeprägten mündlichen Tradition übernommen hat. Auch der aus dem Gedächtnis reproduzierte Markusstoff, wie dies in der Antike durchaus gängig war, spiele eine wichtige Rolle. Im gemeinsamen Gespräch wurde dieser Gesichtspunkt durch die heutige psychologische Gedächtnisforschung unterstrichen.
Volker Gäckle erwies uns einen Dienst darin, dass er uns an einem seiner Entdeckungen innerhalb seiner in Arbeit befindlichen Dissertation Anteil gab. So kam er mit Hilfe von D. Newton zu der Einsicht, dass die sich scheinbar widersprechenden Aussagen über das Verbot am Tisch des Dämonen teilzuhaben (1. Kor 10,18: koinwnoi. tou/ qusiasthri,ou) einerseits und die Erlaubnis Götzenopferfleisch zu essen (1. Kor 10,2526) anderseits, zwei unterschiedliche Ebenen des antiken Götzenkults ansprechen. Ausführlich führte uns V. Gäckle in die variantenreiche Bandbreite des antiken Götzenkults ein, um die obige These glaubhaft nachzuweisen.
Paulus verbietet daher zum ersten das Essen von Götzenopferfleisch nur dann, wenn schwache Christen dabei sind. Zweitens untersagt Paulus die Teilnahme am Schlachtopferritus der Kultpriester (Dämonengemeinschaft). Das Kaufen von Götzenopferfleisch sowie die Teilnahme an heidnischen Einladungen, die immer religiös-heidnische Züge beinhalteten, sind bei Paulus erlaubt. Im Gespräch wurde schnell deutlich, dass die theologischen Ergebnisse von Gäckles Arbeit Konsequenzen auf dem Missionsfeld erfordern, aber auch im Fragen der jungen Leute hier wichtige Einsichten schenken.
Weiter stellte Gäckle fest, dass im Verhältnis der Starken und Schwachen Paulus selbst zwar auf der Seite der Starken steht, aber seine Mahnungen gerade diesen gelten. Die Schwachen dagegen dürften schwach bleiben. In einem Seitenblick bemerkte der Referent, dass er der Frage nachgehen will, was in diesem Zusammenhang mit den geringsten Brüdern aus Mt 25 gemeint sein könnte. Nach dem jetzigen Stand seiner Untersuchung vermutet er, dass damit nicht alle Christen angesprochen sind, sondern eher ganz bestimmte, vielleicht sogar diese schwachen Christen.
aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen ETM 7/2 (2001) Herausgeber: AfeT Arbeitskreis für evangelikale Theologie |
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23.12.2001 |