Klaus Bensel
Mit dem zentralen Anliegen der evangelikalen Bewegung, der Evangelisation, beschäftigte sich die AfeT-Studienkonferenz vom 9.12.09.2001 in Bad Blankenburg. In seiner Eröffnungsansprache hob der AfeT-Vorsitzende Dr. Rolf Hille die besondere Herausforderung hervor, das Evangelium als die frohe Botschaft vom Heil in Jesus in einer postmodernen Gesellschaft zu verkündigen. Diese Konferenz wolle dazu beitragen, durch theologisch gründliches Nachdenken der Evangelisation in unserem Land einen Boden zu bereiten. Da die christliche Botschaft in einem säkularisierten Umfeld auf Unverständnis, Gleichgültigkeit und Gegenwind stößt, bestehe die Aufgabe evangelikaler Theologen darin, Wege der Glaubensverkündigung aufzuzeigen. Mitten in diese Studientagung traf am Nachmittag des 11. September die erschütternde Nachricht von den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington ein. Die Konferenzteilnehmer waren von den Bildern sehr betroffen; angesichts der feindlichen Aggression wurde dann aber auch die Aktualität des Themas bewusst, wie nötig diese Welt die Botschaft von der Liebe Gottes braucht.
Mit der Herausforderung der Evangelisation beschäftigten sich die fünf Hauptreferate der Konferenz, die unter verschiedenen Aspekten und Fragestellungen eine Antwort darauf gaben, wie missionarische Verkündigung in unserer Zeit aussehen sollte. Ein durchgehender Grundtenor der Referate bestand in zwei Akzenten: zum einen besteht die Aufgabe darin, den Menschen, den wir erreichen wollen, in seinen Fragen und seiner Befindlichkeit um des Evangeliums willen ernst zu nehmen, ihm mit Liebe und Einfühlvermögen zu begegnen, und zum andern, dass Evangelisation stets auf die biblische Wahrheit ausgerichtet ist und folglich im Bewusstsein geschieht, dass Gott selbst in der Verkündigung des Evangeliums handelt.
Dr. Friedemann Walldorf, Dozent für Evangelistik an der Freien Theologischen Akademie (FTA) in Gießen, sprach über Umstrittene Evangelisation Analyse der Evangelisationskritik, wobei er für den Einsatz kreativer Gaben in der Evangelisationsverkündigung plädierte. Mit der gelegentlich auch von einigen evangelikalen Theologen geäußerten Kritik, der Einsatz von Liedern, Musik, Theater und Sport bei Evangelisationsveranstaltungen stelle eine Relativierung des reformatorischen Grundsatzes sola scriptura dar, setzte er sich auseinander. Laut Walldorf lassen sich weder die Reformation noch die Bibel zur Begründung einer solchen Kritik heranziehen. Er verstehe die Bibel, in der sich auch Lieder, Gleichnisse, Bildgeschichten, pantomimische Darstellungen bei den Propheten finden, als einen kreativen Weg Gottes, mit uns zu kommunizieren. Zudem wies er auf Beispiele aus der Kirchengeschichte für kulturelle Kreativität in der Verkündigung hin.
Dozent Wolfgang Theis vom Theologische Seminar Ewersbach des Bundes freier evangelischer Gemeinden befasste sich in dem 2. Hauptreferat mit dem Menschen der nachchristlicher Gesellschaft, der in der Evangelisation angesprochen werden soll. Laut Theis sind für den postmodernen Menschen Pluralisierung, Individualismus und Erlebnisorientierung kennzeichnend. Nach seiner Analyse der religiösen Landschaft in Deutschland könne dennoch wohl von einer neuen Religiösität gesprochen werden, die aber meist als Privatsache und als Patchwork empfunden und gestaltet wird. Die Herausforderung für die Gemeinde bestehe darin, dass Gemeindeglieder ihren missionarischen Auftrag entdecken, einen missionarischen Lebensstil entwickeln und in ihrem Umfeld Zeugnis von Jesus geben. Ferner müssten die Gottesdienste verbessert und ansprechender gestaltet werden, und die Verkündigung sollte stets relevant und lebensnah sein.
Ein weiteres Hauptreferat hatte das Thema: Geistliches Leben und Evangelisation: Faktoren missionarischer Motivation und Müdigkeit in Deutschland. Dr. Oskar Föller, Rektor des Theologischen Seminars und Lebenszentrums Adelshofen, hatte eine Umfrage unter Evangelisten in Deutschland durchgeführt und analysierte dann die Einstellungen zur Evangelisation in der Kirche. Als unabdingbare Voraussetzung für erweckliche Evangelisation hob er die geistliche Motivation hervor: Liebe zu Jesus und zu den verlorenen Menschen.
Prof. Dr. Eckhard Schnabel, Trinity School of Divinity, Deerfield/Chicago, USA, zeigte in seinem Referat über Evangelisation im Neuen Testament drei Etappen der neutestamentlichen Mission auf: den Beginn der Mission mit der Verkündigung Jesu von der Ankunft der Herrschaft Gottes, dann die Beauftragung der Jünger, Menschen zu gewinnen, und die Bereitschaft der Apostel, diese Berufung in der Weltmission umzusetzen. Eckhard Schnabel wies auf die Analogielosigkeit der urchristlichen Mission hin, für die weder die jüdische Proselytenwerbung noch die Mysterienkulte Modell oder Parallele sein könnten. Paulus verwendete zwar natürliche Brücken, indem er meist in den Synagogen mit der Verkündigung begann, doch traten die inhaltlichen Unterschiede offen zu Tage. Der Kern der apostolischen Verkündigung lag in der Botschaft vom Kreuz Jesu, die weder damals noch heute kontextualisiert werden könne. Dabei gab Eckhard Schnabel interessante Einblicke in seine Forschung zur urchristlichen Mission, was unter anderem die Frage der Indienmission des Apostels Thomas betrifft oder die Betonung des Wortes vom Kreuz durch Paulus auf dem Hintergrund der Einflüsse sophistischer Philosophen in der Gemeinde Korinth.
Im Abschlussreferat: Vom Evangelium zur Evangelisation: Leitlinien evangelistischer Verkündigung widmete sich Dr. Rolf Hille der Evangelisationshomiletik, wobei er das Verhältnis zwischen dem Text, dem Prediger und dem Hörer der Evangelisation beschrieb. Er plädierte dafür, rhetorische Mittel, Bilder und einprägsame Formulierungen zielgerichtet für die Sache des Evangeliums einzusetzen. Missionarische Verkündigung solle von einer Dynamik zum Ziel einer Entscheidung hin geleitet sein. So müsse am Schluss der Evangelisationspredigt dem Menschen eine Möglichkeit zu einer Glaubensannahme gegeben werden.
An die Referate schloss sich jeweils eine engagierte Diskussion an, die das Anliegen der über siebzig Teilnehmer der Studienkonferenz unterstrich, das Gehörte in der persönlichen Herausforderung als Dozenten, theologische Lehrer oder Gemeindepfarrer umzusetzen.
Über spezielle Aspekte der Evangelisation wurde in den Treffen der sechs AfeT-Facharbeitsgruppen nachgedacht, ebenso in den acht Seminaren, von denen jeder Teilnehmer drei auswählen konnte. Bei einem so vielfältigen Seminarangebot (ein systematisches Referat über Evangelisation als Ruf zur Umkehr, die Zentralität des Kreuzes in der urchristlichen Verkündigung, Analyse der evangelistischen Herausforderung im nachchristlichen Europa, über missionarischen Gemeindeaufbau und Evangelisation in den Subkulturen der Großstadt, über ganzheitliche Evangelisation und über Zusammenhänge von Evangelisation und theologischer Ausbildung) wird sicher für jeden etwas dabei gewesen sein.
Auch die Bibelarbeiten am Morgen waren auf das Thema der Evangelisation zugeschnitten. Dozent Michael Schröder und PD Dr. Roland Gebauer gaben in ihrer Auslegung der Aussendung der 72 Jünger nach Lukas 10 und der Motivation der paulinischen Mission nach 1.Korinther 9 wichtige geistliche und theologische Impulse weiter. Studienleiter Pfr. Hartmut Schmid führte anhand der Areopagrede des Paulus aus, wie der Apostel auf die Menschen zuging. So dürfe die Gemeinde Jesu nicht nur mit sich selber beschäftigt sein, sondern müsse die Sprachlosigkeit gegenüber den Außenstehenden überwinden. Laut Schmid ist der größte Feind der Evangelisation das Nichtbeachten des Menschen.
Einen festlichen Höhepunkt der Studientagung bildete die Verleihung des Johann-Tobias-Beck-Preises, der erstmals an zwei Arbeiten vergeben wurde. Er ging an Dr. Hans-Martin Rieger und Dr. Jochen Walldorf für ihre Dissertationen über Adolf Schlatter.
Sehr wohltuend waren die Abendandachten von Dr. Siegfried Liebschner, der jeweils mit einigen Gedanken zu Kirchenliedern einen geistlicher Ausklang des recht gefüllten Tagesprogramms bot.
Allgemein wurden die Begegnungen und Gespräche der Konferenzteilnehmer zwischen den Programmblöcken als sehr wertvoll empfunden, weil so Gelegenheit zum Kennenlernen und zum Erfahrungsaustausch gegeben war. In einer abschließenden Podiums- und Plenumsdiskussion kam zum Ausdruck, dass der Wert dieser Tagung neben fachlichen Einzelaspekten aus den Vorträgen vor allem darin bestand, dass die Thematik der Evangelisation in einem größeren Zusammenhang betrachtet wurde. Viele Teilnehmer werden das missionarische Anliegen nun gestärkt mit an die theologischen Fakultäten, die Bibelschulen oder in die Gemeindearbeit nehmen.
Diese Stärkung evangelikaler Theologie drückte sich nebenbei auch numerisch aus: durch die Aufnahme von vier neuen Mitgliedern während der Konferenz erhöhte sich die Zahl der AfeT-Mitglieder auf 100. Aber vor allem inhaltlich vermittelte die Konferenz in Bad Blankenburg inspirierende Impulse und leistete durch die theologische Begründung der Evangelisation einen wichtigen Beitrag für die evangelikale Theologie in Deutschland.
Vormerken: Die Referate der Studienkonferenz werden in einem Berichtsband veröffentlicht. Er soll bis Anfang 2002 im Brunnen-Verlag erscheinen.
aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen ETM 7/2 (2001) Herausgeber: AfeT Arbeitskreis für evangelikale Theologie |
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16.10.2007 |