Zwischen dem 27.-28.2.2015 fand das jährliche AfeT Doktoranden- und Habilitanden-kolloquium in den Räumlichkeiten des Albrecht-Bengel-Hauses Tübingen statt. Den Auftakt machte eine Andacht durch Dr. Uwe Rechberger. Im sich anschließenden ersten Vortrag fragte Michael Schröder (Ewersbach) im Rahmen seines Promotionsprojektes nach der Galiläatradition im Matthäusevangelium. Seit langem herrscht Konsens darüber, dass Matthäus im Anschluss an Markus einen besonderen Schwerpunkt auf die Wirksamkeit Jesu in Galiläa legt. Beim Hinweis auf das „Galiläa der Heiden“ (Mt 4,12-17) wurde meist angenommen, dass hier eine feste Redewendung vorliegt, die ein vorwiegend heidnisches Gebiet bezeichnet – mit weitreichenden Konsequenzen.

In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass Galiläa z.Zt. Jesu weitgehend jüdisch geprägt war. Damit ist aber zu fragen, was Matthäus mit seinen Hinweisen auf Galiläa beabsichtigt.Michael Schröder beim Vortrag_Klein Im Vortrag konnte u.a. aufgezeigt werden, dass der Evangelist messianische Vorstellungen aufgegriffen hat, die mit dem Gebiet von Galiläa als Teil des ehemaligen Nordreichs verbunden waren. Es ist die Hoffnung auf die Wiederherstellung des Gottesvolkes mit seinen 12 Stämmen. Mit diesem Handeln Gottes, das zuerst in Galiläa Gestalt gewinnt geraten aber auch die „Heiden“ zunehmend in den Wirkungsbereich Gottes und seines Handeln in Jesus Christus; so wird dieses Gebiet geradezu ein Zeichen auch für die Völker. Während der anschließenden Diskussion wurde deutlich, welches Potential in der Einbeziehung archäologischer Erkenntnisse in exegetische Abhandlungen liegt.

Auch der nachfolgende Vortrag war in diesem Sinne eine „interdisziplinäre“ Arbeit zwischen Exegese und Systematischer Theologie. So fragte Emmanuel Rehfeld (Dortmund) in der Vorstellung seines Habilitationsprojektes nach der theologischen Tiefendimension des christlichen Bekenntnisses zu Jesus Christus als vere homo. Dass Jesus Christus „wahrhaft Gott“ und – nicht zuletzt – „wahrhaft Mensch“ sei, gehört zum Grundbestand christlichen Bekenntnisses. Doch welcher Begriff vom „Menschen“ ist hier vorauszusetzen? Diese Frage bedarf dringend der Klärung.

Das Neue Testament jedenfalls sträubt sich gegen jeden Versuch, so etwas wie eine allgemeine „Anthropologie“ entwerfen zu wollen. Im Gegenteil: Es unterscheidet radikal den Menschen „in Christus“ vom Menschen „ohne Christus“ (Rehfeld 2012) und darüber hinaus die geschöpfliche conditio humana (Gen 1+2) von der postlapsarischen conditio humana des vorfindlichen adamitischen Menschen (Röm 5,12ff.).

Es zeichnet sich ab, dass sich das Bekenntnis zum wahren Menschsein Jesu in erster Linie auf die Inkarnation als Teilhabe an der geschöpflichen (!) conditio humana bezieht. Die Identifizierung des Inkarnierten mit der Sünde (2Kor 5,21!) und ihren Folgen (Krankheit, Tod) erfolgt dagegen ausschließlich im Rahmen der Passion, die mit „Gethsemane“ bzw. dem damit verbundenen Hinweis auf „die Stunde“ einsetzt.

In der anschließenden Diskussion kamen die Implikationen dieser Unterscheidung für unterschiedliche exegetische Befunde, wie beispielsweise die Versuchung Jesu, zur Sprache.

Nach einem reichhaltigen Abendessen im Albrecht-Bengel-Haus konnte der Abend in gemütlicher Form und regem Austausch im Haus der Familie Rechberger ausklingen.

Der zweite Tag stand ganz im Zeichen der Systematischen Theologie und der Geschichtswissenschaft. Martin Schönewerk (Tübingen) stellte sein Promotionsprojekt aus dem Bereich der Religionsphilosophie vor, welches Jonathan Edwards (1703-1758) Kritik an libertarischen Willensvorstellungen in die gegenwärtige Debatte der philosophischen Theologie einzubetten sucht. Nach einer Analyse unterschiedlicher Freiheitsbegriffe sind dabei drei Aspekte einer libertarischen Freiheit zu unterscheiden: Selbstdetermination, Indifferenz des Willens sowie Kontingenz freier Handlungen. Anhand von Edwards Freiheitsschrift kann gezeigt werden, dass jeder der drei Aspekte in unüberwindbaren Problemen und Selbstwidersprüchen endet. Gleichzeitig ist der theologische „Preis“ den libertarische Positionen für die Gotteslehre, die Christologie sowie die Eschatologie nach sich ziehen, zu hoch. Dabei kann gezeigt werden, dass Gott zum einen sicheres Wissen um zukünftige Willensakte des Menschen verfügt, zum anderen aber, dass dieses Wissen bereits ausreicht, um libertarische Positionen auszuschließen. Auch Lösungsvorschläge der gegenwärtigen philosophischen Theologie scheinen gegen Edwards Argument keine befriedigende Lösung bieten zu können.

Dominic Schumann beim Vortrag_KleinDen Abschluss bildete die Vorstellung der ausgereiften Promotionsarbeit von Dominic Schumann (Paris) der als Historiker über den französischen Hugenottenprediger Claude Brousson (1647-1698) und den Widerstand des Geheimprotestantismus gegen die katholische Konfessionalisierung vortrug. Nach W. Reinhard gibt es sieben Charakteristiken der katholischen Konfessionalisierung in der frühen Neuzeit: 1. Klares Glaubensbekenntnis, 2. Multiplikatoren, 3. Propaganda und Zensur, 4. Reorganisation der Bildung, 5. Kontrolle im Innern, 6. Intensivierung der Riten, 7. Sprachliche Festlegung. Jene Charakteristiken sind auch im mehrheitlich katholischen Frankreich zur Zeit Ludwig XIV. festzustellen.

Der König, seine Ratsmitglieder und die katholische Kirche waren die Hauptakteure der katholischen Konfessionalisierung in Frankreich. Das gesamte Königreich sollte katholisch werden. Doch selbst das Verbot des Protestantismus von 1685 (Widerruf des Edikts von Nantes) konnte den Widerstand der reformierten Minderheit nicht brechen. Die Epoche des Geheimprotestantismus begann. Claude Brousson ist einer ihrer berühmtesten Vertreter und war während vieler Jahre als Wanderprediger in Frankreich unterwegs, bevor er 1698 verhaftet und hingerichtet wurde. Seine Theologie ist stark von der Situation der Verfolgung geprägt und er nimmt auch Anleihen bei der Eschatologie eines Pierre Jurieu (1637-1713). In der angeregten Diskussion konnte der historische Kontext in Ludwigs Reich und den umliegenden Gebieten weiter ausgebreitet werden.

Der herzliche Dank der Teilnehmer richtet sich an Prof. Dr. Rainer Riesner und Dr. Uwe Rechberger, die erneut die Doktoranden und Habilitandenarbeit des AfeT fachkundig unterstützt haben, sowie an Familie Rechberger für die freundliche Aufnahme in ihrem Haus. Auch gilt unser Dank an Frau Margret Krehl, die im Albrecht-Bengel-Haus für das leibliche Wohl aller Teilnehmer bestens gesorgt hat.

Das nächste AfeT-Doktoranden- und Habilitandenkolloquium findet 19./20. Februar 2016 in Tübingen statt.

Alle Interessierten sind herzlich Eingeladen. Bitte laden Sie auch interessierte Doktorandinnen und Doktoranden aus ihrem Umfeld und ihren Ausbildungsstätten ein.

 

Martin Schönewerk