Neunzehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren teils von weither angereist, um am jährlichen Treffen der Facharbeitsgruppe Praktische Theologie des AfeT teilzunehmen. Es fand diesmal am 13. Februar 2017 in Gießen in den Räumlichkeiten der Freien Theologischen Hochschule statt. Anregende Impulsreferate, gute Diskussionen und wertvolle Begegnungen in den Pausen und beim Essen prägten den Tag.

Wilhelm Faix, Gründungsmitglied der FAGPT und Dozent am Theologischen Seminar Adelshofen, hielt das erste Impulsreferat zu seinem Spezialthema „Die Familie der Zukunft: Zum aktuellen Stand der Familienforschung“. Da Familie kein eigener Topos in der Theologie ist, auch kein eigenes Gegenstandsgebiet der Praktischen Theologie, geht sie als praktisch-theologisches Forschungsfeld meist unter. Nicht so bei Faix. Sein Anliegen ist es, die immens anwachsende Flut an familiensoziologischen Publikationen im Blick zu behalten, die einerseits die rasanten Entwicklungen im Familienverständnis und der `Familienpraxis´ der letzten drei Jahrzehnte widerspiegelt, andererseits sie auch ideologisch befeuert. Biblisch-theologisch geprägte bzw. konservative Entwürfe kommen öffentlich kaum vor. Dabei sind in den Gemeinden auch christliche Eheleute und Familien oft hilflos, partizipieren an Rollenunsicherheit, Überforderung und einem Mangel an familienpädagogischer Hilfestellung. Das Desiderat, Familien auf biblischer und verantwortlich-pädagogischer Basis beizustehen und Alternativen zu erarbeiten, wurde gewissermaßen als Vermächtnis in den Raum gestellt.

Dr. Tobias Lehmann, Lehrbeauftragter an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, trug in einem zweiten Impulsreferat Ergebnisse seiner Forschungsarbeit  über „Die evangelikale Schulbewegung in Deutschland“ vor. Seit den 1970er Jahren gab es eine immer noch anhaltende Gründungswelle christlicher Privatschulen aller Schulstufen im evangelikalen Bereich. Da Zweidrittel der Schüler dieser teils großen Institutionen aus nicht-christlichen bzw. nicht-evangelikalen Elternhäusern kommen, ist die gesellschaftliche Außenwirkung der Schulen bedeutend, zumal sie hinsichtlich der pädagogischen Betreuung und dem schulischen Leistungsniveau häufig überdurchschnittlich sind. Die Schulen weisen durchweg ein religiöses Profil auf, legen Wert auf ein bewusst christliches Kollegium. Bei spezifisch konservativen Items weisen sie, laut Umfrageergebnis, aber inzwischen ein breites Spektrum auf. Veränderungen in theologischen und ethischen Haltungen führen teils zu einer Angst vor Profilverlust im Schulalltag. Deutlich bleibt aber die Intention, über die fachdidaktischen Ziele hinaus, individuell-wertorientiert zu wirken und so einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Die Prägung durch das Vorbild eines aus Christen bestehenden Kollegiums ist nicht zu unterschätzen. Allerdings bleibt die Spannung, dass die Ausbildung der Lehrkräfte ausschließlich an säkularen Hochschulen erfolgen kann. Umso wesentlicher ist, dass wissenschaftlich-christliche Impulse vermehrt auch auf akademischer Ebene zur Verfügung gestellt werden.

In einem dritten Impulsreferat hat sich Prof. Dr. Markus Printz, Internationale Hochschule Liebenzell, mit dem Thema „Spiritualität und Gemeindepädagogik“ befasst. Den unscharfen Modebegriff `Spiritualität´ hat der Referent dabei bewusst auf eine evangelische, vom Spiritus sanctus geprägte Spiritualität hin fokussiert. Seit der Aufklärung steht das Theologisieren im akademischen Raum in der Gefahr, ihren spirituellen Lebensbezug zu verlieren – mit Auswirkungen auf einen Spiritualitätsmangel auch im kirchlichen Raum. Die unspezifische Offenheit für Spirituelles heute könnte als Chance genutzt werden, für eine bewusst vom Evangelium geprägte Spiritualität zu werben und darin zu unterweisen. Gegen alle Einwände, Spiritualität sei nicht lehr- und lernbar und jeder müsse seine eigene Spiritualität finden, ist schon der Umstand ins Feld zu führen, wie Jesus in den Evangelien auf die Jüngerbitte eingeht „Lehre uns beten“. Menschliches Lehren und Lernen und göttliches Ermöglichen und Bewirken sind dabei reziprok aufeinander bezogen. Zieldispositionen geistlicher Praxis, Mittel, konkrete Kenntnisse, Formen und Rituale können durch Predigt, Katechese, Übungen usw. in Gemeinde, Hauskreisen und Jüngerschaftskursen vermittelt werden. Die Förderung spiritueller Haltungen und Vollzüge sollte ein wesentliches Gebiet gemeindepädagogischen Handelns sein.

In einem vierten Impulsreferat setzte sich nach der Mittagspause Prof. Dr. Jack Barentsen von der Evangelisch Theologischen Fakultät Leuven (auf Englisch) mit „Pastoral Leadership as Public Identity Leadership“ auseinander. Dazu verglich er verschiedene Leitungsmodelle auf unterschiedlichen Gebieten (Wirtschaft, Politik, Kirche usw.). Jeder Leitungskontext stellt spezifische Anforderungen an Leiter. So auch an die Leitungsaufgaben auf dem pastoralen Feld. Zu klären ist, was religiöse Identität in einer säkularen Gesellschaft ausmacht und was entsprechend den Leiter und sein Handeln bestimmen soll. Zu diesen Faktoren gehört, dass er in der Lage sein muss, das Heilige zu repräsentieren, gemeinschaftlich zu feiern, Spiritualität vorzubilden, Tradition zu vermitteln, eine Gemeinschaft zu fördern, zugleich organisatorischen Herausforderungen gerecht zu werden, Menschen mit Differenzen zusammenzuführen, christliche Inhalte öffentlich zu kommunizieren und sich glaubwürdig sozial zu engagieren. Wie erkennbar wird, vereint Pastorale Leiterschaft geistliche Kernkompetenzen, Gemeinschaftskompetenzen und öffentliche Kompetenzen. Diese müssen jeweils so ausgeprägt werden, dass sie den Personen sowie der Situation gerecht werden und Theologisches und Organisatorisches integrieren.

Zu fortgeschrittener Zeit regte Prof. Dr. Helge Stadelmann von der Freien Theologischen Hochschule Gießen die Diskussion durch einen Beitrag zur Taufthematik an: „Die neutestamentliche Taufe als Konversionstaufe – Praktisch-theologische Erwägungen zu einem ökumenisch heiklen Topos“. Dass in einem Allianz-Kontext heute friedlich, wenn gleich angeregt, zur Taufthematik gesprochen werden kann, darf in sich schon als Fortschritt gelten. Der Referent stellte anhand neuerer Literatur einen zunehmenden exegetischen Konsens fest, der die neutestamentliche Taufe als Konversionstaufe begreift (etwa Gebauer, Haacker, Sattler, Stettler). In der apostolischen Bekehrungstaufe, der die Evangeliumsverkündigung vorangeht und in der sich die dadurch ermöglichte Umkehr im Glauben konkretisiert, liegen göttliches und menschliches Handeln ineinander. Zeichen und Bezeichnetes sind simultan verbunden. Das Realsymbol der Taufe macht das zeichenhaft erfahrbar, was Gott in der Umkehr des Glaubens schenkt und bewirkt. Die alten Kontrastpositionen – hier die allein die Gnade und Alleinwirksamkeit Gottes betonenden Kirchen mit Säuglingstaufe, dort die den Glaubensgehorsam des Menschen betonenden Kirchen mit Erwachsenentaufe – werden angesichts der apostolischen Praxis der Konversionstaufe obsolet. Allerdings erhebt sich das praktisch-theologische Problem, dass die einen Kirchen zu früh taufen, die andern zu spät, wenn man vom Modell der Konversionstaufe ausgeht. Wie von der einen wie der anderen Ausgangsposition Schritte in Richtung auf das biblische Ideal gegangen werden können, wurde erörtert (- ohne schon Lösungen für alle Fragen bieten zu können).

Zum Tagungsabschluss stellte Prof. Dr. Stefan Schweyer, Staatsunabhängige Theologische Hochschule Basel, ein von der Oikodomik als integrierender Mitte ausgehendes Lehrbuch für Praktische Theologie vor, das im April im Brunnen Verlag erscheinen wird und von Stadelmann / Schweyer erarbeitet wurde. Es diskutiert in einem ersten Teil Ansatz, Methoden, Referenzwissenschaften und Entwicklung der Praktischen Theologie, geht dann auf den gesellschaftlichen Kontext ein, in dem Gemeindeaufbau heute erfolgen soll, und widmet sich dann in Einzelkapiteln den vielfältigen Handlungsfeldern Praktischer Theologie in den Bereichen `Gemeinde bauen´ , `Gemeinde sammeln´ und `Gemeinde senden´. Es hebt sich von dem zur Zeit Konjunktur habenden religions-hermeneutischen Paradigma der Praktischen Theologie ab, fokussiert sich vielmehr auf Kirche und Gemeindeaufbau als praktisch-theologischen Konzeptionsgegenstand, behandelt diesen aber im Reflexionshorizont von Individuum, Religion, Kultur und Gesellschaft samt den dazugehörigen hermeneutischen und empirischen Methoden.

Ein Austausch über interessante Neuerscheinungen schloss den Tag ab, bevor die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Heimreise – teils bis nach Belgien, Österreich und der Schweiz – antraten.

Helge Stadelmann