Am 10. und 11. März 2017 fand im Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen das diesjährige Doktoranden- und Habilitandenkolloquium statt. Vier aktuelle Forschungsprojekte wurden vorgestellt und diskutiert.
1) Daniel Gleich, Paulus bei Lukas, wie er sich selbst verteidigt. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Corpus Paulinum
Die Verteidigungsreden des Apostels Paulus in Apg 22-26 wurden bisher nur selten systematisch mit den Paulusbriefen verglichen. Dennoch wird in der Forschung immer wieder behauptet, dass der echte Paulus so nie gesprochen hätte. Bei genauer Betrachtung wird deutlich, dass es in den Verteidigungsreden und den Paulusbriefen viele Aussagen gibt, die sich zwar im Wortlaut unterscheiden, aber auf propositioneller Ebene mehrere Gemeinsamkeiten aufweisen. Dass es bei den Verteidigungsreden dort, wo thematische Überlappungen mit den unumstrittenen Paulusbriefen bestehen, auch Aussagen gäbe, die unvereinbar mit den entsprechenden Texten in den Briefen wären, hat sich in der Untersuchung nicht bestätigt.
2) Jonathan Reinert, Lutherische Passionspredigt im 16. Jahrhundert
Das Dissertationsprojekt widmet sich der Frage, wie Luther und Theologen in Wittenberger Tradition in der Zeit bis zum Konkordienbuch (1580) über Leiden und Sterben Jesu Christi gepredigt haben. Beispielhaft wurden anhand einer Predigt des lutherischen Theologen Johannes Wigand Kontinuitätslinien, aber auch theologiegeschichtliche Spezifika dargestellt. Außerdem untersucht das Projekt die Breite von negativen Reaktionen bis zur positiven Rezeption reformatorischer Impulse im Bereich der Passionspredigt durch altgläubige Prediger. An den Beispielen Friedrich Nausea und Johann Wild wurde auch dies veranschaulicht.
3) Henning Bühmann, Die frühen Wittenberger Thesen: Thesenreihen und Disputationen in Wittenberg 1516–1523
Aus der theologischen Fakultät Wittenberg haben sich von 1516–1523 viele Disputationsthesen erhalten. Die Besonderheit dieser Thesen lassen sich anhand der „Disputatio contra scholasticam theologiam“ im Herbst 1517 aufzeigen. Diese gab einen Einblick in die traditionelle Disputationskultur und erhellte durch ihre radikale Infragestellung der Scholastik die Besonderheit des Wittenberger Falls. Thesensammeldruck in Leiden, Basel und Paris um 1520 geben Einblick in die Rezeption der Reformation. Ziel des Projektes ist eine Rekonstruktion des Wittenberger Disputationswesens zwischen Tradition und Innovation.
4) Viktor Martens, Das Inkognito Christi bei Kierkegaard und Bonhoeffer
Der kierkgaard’sche Begriff des christologischen Inkognito wurde von Bonhoeffer in der Weise aufgenommen, dass er mit seiner Hilfe die mündige Welt ernstnehmen konnte. Kierkegaard selbst jedoch bezieht aus dem Inkognito die Möglichkeit für den Menschen, ganz Mensch zu sein. Das christologische Inkognito (also: die Unkenntlichkeit Christi und seiner Wahrheit) hat also einen Bezug zu dem Thema der menschlichen Mündigkeit. Mithilfe von Kierkegaard möchte ich die Möglichkeit ins Auge fassen, in theologischer Weise von menschlicher Mündigkeit zu reden und diese in den Bezug einer säkularen Mündigkeit zu setzen, so wie Bonhoeffer sie verstanden hat. Es geht also um das Inkognito Christi in seinem Bezug auf den Menschen.
Ein besonderer Dank gilt Prof. em. Dr. Rainer Riesner für die fachkundige Begleitung. Der Termin für das nächste Doktoranden- und Habilitandenkolloquium im Frühjahr 2018 folgt in Kürze. Weitere Interessenten sind herzlich willkommen. Gerne dürfen auch potentielle Teilnehmer auf diese Möglichkeit des akademischen Austausches aufmerksam gemacht werden.
Dr. Uwe Rechberger