„Die Reformation – Last oder Chance für die christliche Gemeinde heute?“ – So lautete der Titel der gemeinsamen Studienkonferenz des Arbeitskreises für evangelikale Theologie (AfeT), der Konferenz bibeltreuer Ausbildungsstätten (KbA) sowie der Konferenz missionarischer Ausbildungsstätten (KmA), die vom 01.-03. Oktober 2017 im Christlichen Gästezentrum Rehe (Westerwald) stattfand.
Mit rund 60 Teilnehmern aus verschiedenen Werken unterschiedlicher Tradition und theologischer Ausrichtung innerhalb des evangelikalen Spektrums, externen Gastreferenten, sowie auch interessierten Gästen, bestand das Ziel der Tage darin, die reformatorische Prägung der eigenen Theologie besser zu verstehen und nach wirksamer Aufnahme des reformatorischen Anliegens in Theologie und Gemeinde heute zu fragen.
Die neun Referate der Konferenz wurden am Sonntagabend mit den Vorträgen von Prof. Dr. Volker Gäckle (IHL) zur „exegetischen Grundlage der reformatorischen Rechtfertigungslehre“ und von Dr. Joel White (FTH Gießen) über „die reformatorische Rechtfertigungslehre und die ‚New Perspektive on Paul‘ (NPP)“ eröffnet. Beide Referenten hoben würdigend das Anliegen der NPP hervor, das theologische Anliegen des Apostels vor seinem zeitgeschichtlichen Hintergrund (besser) verstehen zu wollen. In je unterschiedlicher Weise akzentuierten sie neben den Stärken auch die Grenzen und Schwächen der einzelnen Forschungsentwürfe auf, wobei sie insbesondere in der Beurteilung von N.T. Wrights Werk auseinandergingen.
Das hohe Niveau an Sachkenntnis und überzeugender Vermittlung fand am Montagvormittag seine Fortsetzung mit Dr. Stefan Felber (TSC). In seinem Vortrag über die „Luther-Übersetzung in ihrer bleibenden Bedeutung für die Kommunikation des Evangeliums“ legte er anhand zahlreicher linguistischer Beispiele geradezu leidenschaftlich dar, wie sehr Luther „dem Volk nicht nur auf’s Maul schaute, sondern auch das Maul prägte“. So hatte Luther letztlich nicht nur „die Bibel verdeutscht, sondern das Deutsch gewissermaßen »verbibelt«“. Nachvollziehbar plädierte Felber dafür, den Sprachduktus der Lutherbibel nicht dem Niveau kommunikativer Bibelübersetzungen anzugleichen, um elementare Glaubensinhalte im Sprachbewusstsein angemessen – und memorierbar – zu bewahren. Auf Widerspruch stieß dieses Plädoyer für die Lutherbibel bei Prof. Dr. Heinrich von Siebenthal (FTH Gießen), der über „kommunikative Bibelübersetzungen als Brücke zum Menschen in linguistischer Perspektive“ referierte. Es komme stets auf den Skopos, das „in der Ferne anvisierte Ziel“ an, was immer in der Lebenswelt der Bibelleser anzusiedeln ist. Dafür lassen sich auch – dies hätten linguistische Studien erwiesen – alle Inhalte in allen Sprachen der Welt kommunizieren. Eine lebendige Diskussion schloss sich diesen (wie auch den meisten anderen) Referaten an.
Engagiert im Vortrag und kritisch-konstruktiv in der Sache begegneten sich auch die nächsten beiden Referenten. Prof. Dr. Peter Zimmerling (Universität Leipzig) sprach über die „Taufe als Ausdruck der Bedingungslosigkeit des Evangeliums in lutherischer Perspektive“ und betonte dabei, dass die Taufe nicht nur eine symbolhafte, sondern auch eine effektive Handlung sei. Als Handeln Gottes am Menschen sei auch die Säuglingstaufe gültig, sie rufe jedoch nach der Antwort des Getauften im Glauben. Dem gegenüber arbeitete Prof. Dr. Uwe Swarat (TH Elstal) in seinem Referat über „göttliches und menschliches Handeln in der Taufe nach baptistischem Verständnis“ heraus, dass die Taufhandlung vom Täufling willentlich passiv zu empfangen sei, was bei der Säuglingsstaufe nicht gegeben ist. „Weil die Taufe ein Begegnungsgeschehen ist, kann sie nicht unabhängig vom Glauben des Menschen empfangen werden. Der Mensch ist nicht bloßes Objekt des Handelns Gottes“, so Swarat.
Das dichte Tagungsprogramm des Montags beschloss Dr. Rüdiger Gebhardt (CVJM- Hochschule Kassel) mit dem ebenso kompetenten wie kurzweiligem Beitrag „Ist das nicht eine fröhliche Wirtschaft? Rechtfertigung und neues Leben in Luthers Freiheitsschrift“. Im Mittelpunkt stand die Frage nach der Heiligung des Christen aus der Sicht Luthers. „Von der Freiheit des Christenmenschen“ dürfe als diejenige Schrift Luthers gelten, die gewissermaßen einer systematischen Gesamtdarstellung Luthers, seinem Verhältnis von Dogmatik und Ethik, am nächsten kommt. Im Fazit hielt Gebhardt fest, dass es für Luther keine Rechtfertigung ohne Christusbeziehung gebe. Aus jener Beziehung – sachlich und terminologisch zu fassen im Glauben des Christen – resultiere das neue Leben in Christus, das Kennzeichen der Rechtfertigung ist. Das neue Leben – gegründet in der Christusbeziehung – bringe unweigerlich auch gute Werke hervor.
Die beiden letzten Referate der Studienkonferenz am Dienstagvormittag nahmen gezielt Herausforderungen des christlichen Glaubens in unserer Gegenwart in den Blick. In seinem Vortrag „Glaube und Weltverantwortung. Für eine biblisch begründete politische Ethik“ begründete Dr. Horst Afflerbach (BTA Wiedenest), warum Christen sich nicht aus politischer Verantwortung zurückziehen dürften. Der die Verantwortung für das Gemeinwesen einschließende Kulturauftrag an den Menschen in Gen 2,15 sei in der biblischen Heilsgeschichte nie zurückgenommen worden. Daher ist der Glaube als solcher – mit Helmut Thielicke – „weltlich oder er ist nicht“. Eine »Liebe zur Welt« sei stets mit der richtigen Akzentuierung zu versehen: „Es gibt eine Liebe zur Welt, die aus der Liebe zu Christus kommt und es gibt eine Liebe zur Welt, die aus der Feindschaft gegen Gott stammt.“ Afflerbachs Fazit: „Eine politische Ethik kann zwar biblisch begründet werden, sie kann aber nicht direkte politische Handlungsanweisungen aus der Bibel ableiten.“ Dem schloss sich der Vortrag von Dr. Friedmann Eißler (EZW Berlin) an. Er referierte zu dem Thema: „Muslimen begegnen. Zur Bedeutung der Auseinandersetzung mit dem Islam für die christliche Identität“. Eißler ermutigte stark zur kirchlichen Selbstreflektion und warnte im Dialog mit dem Islam vor einem theologischen Minimalismus. Das helfe in der Begegnung nicht wirklich, ebenso wenig wie Pseudoargumentationen.
Täglicher Ausgangs- und Zielpunkt des akademischen Arbeitens und persönlichen Miteinanders waren die bereichernden Bibelarbeiten, das Gebet für die Ausbildungsstätten und die prägnanten Abendandachten. Erwähnt sei schließlich die konstruktiv-zukunftsorientierte Mitgliederversammlung des AfeT, die in einer von Zuversicht geprägten Atmosphäre stattfand. So wird sich der AfeT künftig z.B. noch gezielter der Nachwuchsgewinnung widmen und macht dies durch Maßnahmen, wie z.B. einem verminderten Mitgliederbeitrag für Studierende, sichtbar.
Die Beiträge der Tagung werden im ab diesem Jahr qualitätsgeprüften AfeT-Jahrbuch erscheinen, das den neuen Namen „Biblisch erneuerte Theologie“ (vormals „Jahrbuch für Evangelikale Theologe“) tragen wird.
Die drei Tage lebten „von dem gegenseitigen, großen Bemühen zu verstehen, Anschluss zu suchen und sich dabei doch selbst zu positionieren“, so in seinem Schlusswort zur Konferenz AfeT-Vorsitzender Prof. Dr. Christoph Raedel, der diszipliniert und mit trockenem Humor auf erfrischende Weise durch das Programm führte. In guter Erinnerung bleiben die anregenden Diskussionen, sowie der offene, persönliche Austausch zu den stringent organisierten Beiträgen der Referenten, ebenso wie die Begegnungsmöglichkeiten während der gemeinsamen Mahlzeiten und beim abendlichen Beisammensein in der einladenden Cafeteria. Deutlich wurde spürbar, dass die persönliche Teilnahme an der Konferenz in geschwisterlicher Atmosphäre in durchweg angenehmem Arbeits- und Begegnungsambiente durch nichts zu ersetzen ist. Ein Grund mehr, sich bereits jetzt auf die Studienkonferenz 2019 zu freuen und der Teilnahme (erneut) Priorität einzuräumen.
Mathias Nell, Stuttgart