Ein Bericht zur Theologischen Studienkonferenz 2021
Die (Un)Wandelbarkeit Gottes
Verständnis, Problematik und Relevanz eines Gottesprädikats
Wie passen die biblischen Berichte von den Affekten Gottes, von seiner Menschwerdung und Jesu Tod am Kreuz eigentlich zur Göttlichkeit Gottes? Stehen sie nicht im Widerspruch zu Absolutheit, Allmacht, Allwissenheit und Unwandelbarkeit, kurz: zur Göttlichkeit Gottes?
Diesem brisanten Themen- und Problemfeld widmete sich die Theologische Studienkonferenz des Arbeitskreises für evangelikale Theologie vom 12. bis zum 14. September 2021. Der Einstieg ins Konferenzthema wurden von Prof. Dr. Roland Deines (Bad Liebenzell) gestaltet. Mit seinem Vortrag Gott als Erzieher. Nachdenken über Gottes Erfahrungen mit dem Menschen lud Deines zu einer theologischen Übung im Mit- und Nachdenken über die Gottheit und Freiheit Gottes ein – einer Freiheit zur Selbstzurücknahme: Muss Gott auch alles, was er kann? Und braucht Gott wirklich einen kleingliedrigen, perfekten Plan, um seine Absichten verwirklichen zu können? Oder ist Gott nicht gerade darin göttlich, dass er frei und souverän auf die Menschen reagieren und sich selbst beschränken kann? Noch weiter gefragt: Was „macht“ es eigentlich mit Gott selbst, wenn er auf den Menschen reagiert? Von solchen Überlegungen eingestimmt und angeregt klang der erste Tagungsabend aus.
Nach der ersten der beiden morgendlichen Bibelarbeiten von Dr. Eckhard Hagedorn begann der zweite Tag mit Vorträgen bibelwissenschaftlichen Schwerpunkts. Prof. Dr. Benjamin Kilchör (Basel) sprach zum Thema Ist Gott unveränderbar? Zur Bundestreue und Beweglichkeit Gottes im Alten Testament. Hier wurde der Bezug zwischen der Unveränderlichkeit Gottes und seiner Bundestreue herausgestellt sowie die Unterscheidung von Wandelbarkeit und Beweglichkeit Gottes eingeführt: Ist Gott in seiner Bundestreue „unwandelbar“, so ist er dennoch ein „beweglicher“ Gott, der auf den Menschen reagiert. Es folgte ein neutestamentlich akzentuierter Vortrag von Dr. Maximilian Zimmermann (Wiedenest): „Und das Wort wurde Fleisch.“ Die Lehre von der Unveränderlichkeit Gottes in der Sprachschule der biblischen Heilsgeschichte. Mit einer Einführung in die jüngste Debattenlage rund um die Kenosis-Christologie (Lehre von der „Entäußerung Christi“ nach Phil 2: Christus legte seine göttlichen Eigenschaften während seines Mensch-Seins ab) wurde die Frage nach der (Un)Wandelbarkeit Gottes mit seiner Menschwerdung in Christus und der Menschlichkeit von Christus konfrontiert. Deutlich wurde hier vor allem die biblische Spannung der Rede von der Göttlichkeit und der Menschlichkeit Gottes.
Anschließend führte Dr. Manuel Schmid (Zürich) in die theologische Programmatik des sogenannten „Offenen Theismus“ ein: Ist Gott ein Abenteurer? Die (Un)Wandelbarkeit Gottes im Offenen Theismus. Schmid gab einen Überblick zu Anliegen und Hintergründen dieser vor allem amerikanischen Denkbewegung und wies Parallelen in der kontinentaleuropäischen Theologie auf. Es wurde auch deutlich, dass eine Lehre von der „Wandelbarkeit“ Gottes durchaus seelsorgerliche Vorzüge aufweist: die unverkrampftere Lektüre aller biblischen Texte (auch jener von der Reue Gottes); die Plausibilisierung der Relevanz des Bittgebets; die Flexibilisierung der göttlichen Führung im Leben des einzelnen Christen. Den Tagesabschluss bildete der Vortrag von Prof. Dr. Ulrike Treusch (Gießen) zur Frage nach der Lehre der (Un-)Wandelbarkeit Gottes in der reformatorischen Theologie bei Luther, Calvin und Bullinger. Treusch stellte mit souveräner Quellenkunde heraus, dass jedwede Vorstellung von einer „Wandelbarkeit“ Gottes bei den großen Reformatoren als ausgeschlossen galt und sie die biblischen Texte unter Berücksichtigung dieser dogmatischen Grundentscheidung auslegten.
Am Abend dieses vollen Konferenztages fand die feierliche Preisverleihung des Johann-Tobias-Beck-Preises statt. Es wurden zwei wissenschaftliche Studien, im Bereich der Praktischen Theologie von Prof. Dr. Philipp Bartholomä (Preisträger 2020) und im Bereich des Alten Testaments (Preisträger 2021) von Prof. Dr. Benjamin Kilchör, ausgezeichnet, musikalisch umrahmt durch Klavierstücke, die von Lukas Gebauer interpretiert wurden.
Am letzten Tag stand eine Betrachtung des Tagungsthemas aus der Perspektive der Praktischen Theologie im Zentrum. So widmeten sich zwei Predigten der (Un)Wandelbarkeit Gottes: Dr. Christoph Schrodt (Bad Liebenzell) predigte, ausgehend von Ex. 32,7-14, einen Gott, den es schmerzt, wenn sein Volk Bundesbruch begeht, also einen Gott, der sich dem Menschen liebend und damit verletzlich offenbart. Im Anschluss daran predigte Dr. Bernhard Olpen (Düsseldorf/Erzhausen), Luk 18,1-8 auslegend, einen personalen Gott, der gerade nicht statisch oder unbeweglich ist, sondern auf uns Menschen reagieren kann und das auf unser Gebet hin auch tut. Im Anschluss an diese Predigt-Werkstatt hielt Prof. Dr. Peter Zimmerling (Leipzig) einen Vortrag, der die Wandelbarkeit der menschlichen Gottesbilder zum Thema hatte. Dabei bot er einen erhellenden Ritt sowohl durch Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte wie auch durch die menschliche Psyche, bevor die Tagung mit Reisesegen und Gesang ihren Abschluss fand.
Das Tagungshaus KARIMU in Burbach-Holzhausen erwies sich einmal mehr als einladender Konferenzort, in dem für die technischen und leiblichen Bedürfnisse gut gesorgt war. Außengelände und Cafeteria luden zu Gesprächen ein, von denen einige bis tief in die Nacht gingen. Die musikalische Begleitung der Tagung durch einige Studenten verlieh dieser ansonsten stark kopflastigen Tagung eine willkommene Abwechslung.
Lukas Sulzer