Die Deutsche Evangelische Allianz hat ihre Glaubensgrundlage neu formuliert. Der erste Grundlagentext war 1846 bei der Gründung der Allianz in London verabschiedet worden. Der für die Deutsche Allianz gültige Text war 1972 das letzte Mal sprachlich überarbeitet worden. Zu der Neufassung ein Kommentar von Prof. Christoph Raedel. Er ist Professor für Systematische Theologie an der Freien Theologischen Hochschule (FTH) in Gießen und Vorsitzender des Arbeitskreises für evangelikale Theologie (AfeT).

Die Glaubensbasis der Deutschen Evangelischen Allianz von 1972, findet ihr Hauptvorstand, ist in die Jahre gekommen. Deshalb ist jetzt eine Neufassung verabschiedet worden, die mehr dem heutigen Sprachempfinden entsprechen soll. Das tut der neue Text auch. Der bisherige eine Satz, der mit „Wir bekennen uns“ begann, ist nun in einzelne Aussagesätze umgeformt. Verbalkonstruktionen werden bevorzugt: „Jesus wird wiederkommen“ statt: „Wir bekennen uns zur Wiederkunft Jesu“. Damit ist der Text nicht nur näher am heutigen Sprachgebrauch, sondern auch am Neuen Testament inkl. der Paulusbriefe. Zugleich verschwinden damit geprägte Wendungen wie das „Priestertum aller Gläubigen“ oder die „Rechtfertigung des Sünders allein durch die Gnade Gottes“. Natürlich sind solche Formulierungen nicht in Stein gemeißelt, doch sie stiften zugleich Identität. Diese Funktion entfällt, wenn zwar aktuell eingängigere, aber damit auch stärker dem Wandel unterliegende Formulierungen gewählt werden.

Theologisch betrachtet gibt es eine Kontinuität

Theologisch betrachtet steht die Neufassung deutlich in Kontinuität zu den früheren Fassungen der Glaubensbasis. Allerdings ist im Einleitungssatz die Aussage hinzugefügt, dass die Allianz „ein Netzwerk von Christen“ sei. Weil nicht näher erläutert wird, was genau damit gemeint ist, bleibt diese Bestimmung sehr vage. Erfreulich ist, dass die – deshalb doch nicht rein sprachliche – Neufassung zum Anlass genommen wurde, einige Aussagen noch stärker zu  verdeutlichen. Der Text ist jetzt präziser, was den Glauben an den „dreieinigen Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist“, angeht. Neu ist die Aussage, dass der Mensch „als Ebenbild Gottes eine unverwechselbare Würde“ besitzt und „als Mann und Frau geschaffen“ ist. Damit haben die lebensethischen und geschlechtertheologischen Positionen, die Evangelikale in gesellschaftlichen und kirchlichen Auseinandersetzungen vertreten, jetzt einen Ankerpunkt in der Glaubensbasis.

Was sehr gelungen ist

Sehr gelungen ist auch die Neuformulierung des christologischen Artikels. Der Opfertod Jesu wird unter das Vorzeichen gestellt, dass Christus „stellvertretend für alle Menschen gestorben ist“. Stellvertretung ist ein Ausdruck der theologischen Beschreibungssprache, der eine tragfähige Brücke zwischen dem biblischen Zeugnis und der gegenwärtigen Kommunikation des Evangeliums bildet. Der Tod Jesu allein, so wird eindrücklich erläutert, „ist die Grundlage für die Vergebung der Sünden, für die Befreiung von der Macht der Sünde und für den Freispruch in Gottes Gericht“. Weiter heißt es jetzt ganz explizit, dass Jesus Christus „der einzige Weg zu Gott“ ist. Der stärkeren Präsenz pfingstlich-charismatischer Evangelikaler dürfte der Text die Aussage verdanken, wonach der Heilige Geist den Christen „Gaben zum Dienen“ schenkt.

Problematisch: Von einem doppelten Ausgang der Weltgeschichte ist nicht die Rede

Einige Anfragen an den neuen Text bleiben jedoch. So ist es zwar theologisch ganz richtig, den Menschen als Geschöpf und Ebenbild Gottes wahrzunehmen, doch muss diese Aussage (wie die britische Fassung belegt) nicht durch Streichung von Aussagen zur Sündhaftigkeit des Menschen erkauft werden. Ist der Mensch, wie es auch weiterhin heißt, „durch Sünde und Schuld von Gott getrennt“, dann steht er unter „Gottes Zorn und Verdammnis“ – was nun nicht mehr gesagt wird. Problematisch ist dies vor allem in Verbindung mit der Beobachtung, dass von einem doppelten Ausgang der Weltgeschichte (also der Gemeinschaft mit oder Trennung von Gott) nicht die Rede
ist. Doch wenn der Glaube an Christus rettet, dann hat es doch wohl auch Konsequenzen, nicht an ihn zu glauben.

Ein Signalwort wird aufgegeben

Das Bekenntnis zur Bibel ist in der Neufassung ganz ans Ende gerückt. Damit durchbricht der Artikel zur Bibel nicht mehr die trinitarische Struktur am Anfang, wo er bisher zwischen dem Bekenntnis zum Vater und zum Sohn stand. Doch wäre das Bekenntnis zur Bibel an den Beginn und nicht, wie jetzt geschehen, ans Ende gerückt worden, würde vermutlich weniger Aufmerksamkeit finden, dass aus der „völligen Zuverlässigkeit“ ein „zuverlässig“ wurde. Auch hier wird ein Signalwort, das deutsch- und englischsprachige Fassungen bisher verband, aufgegeben.

Eine Frage bleibt: Was sollte der Maßstab einer Glaubensbasis sein?

Am heutigen Sprachempfinden gemessen, ist der neue Text sicherlich gelungen. Doch muss die Frage gestellt werden, ob der Maßstab einer Glaubensbasis sein kann, dass sie allgemein, also „auch von säkularen Menschen besser verstanden werden kann“. Wenn das tatsächlich so sein sollte, bleibt unklar, warum „Rechtfertigung“, „Heiligung“ und „Inspiration“ durch andere Formulierungen ersetzt werden, „Wiedergeburt“ oder „Opfertod“ dagegen nicht. Sprachlich verdichtete Grundüberzeugungen bedürfen doch grundsätzlich der näheren Erklärung, und zwar nach innen wie nach außen.

Wer sich am Sprachempfinden orientiert, muss die Glaubensbasis häufiger anpassen

Fazit: Der Text verdeutlicht einige Anliegen der evangelikalen Bewegung stärker als vorherige Fassungen, während Punkte wie Gotteszorn und Verdammnis noch stärker zurücktreten. Zu bedenken bleibt: Sich am Sprachempfinden von Jugendlichen und säkularen Zeitgenossen zu orientieren, nötigt dazu, den Text der Glaubensbasis in immer kürzeren Abständen anzupassen. Das aber scheint mir als Form der Beschäftigung mit sich selbst wenig verheißungsvoll.

(Quelle: idea Pressedienst vom 16. April 2018 Nr. 090)

 

Der aktualisierte Text der Glaubensbasis kann hier nachgelesen werden.